21. April 2018
Schauspielhaus – Zürich
Bands: Ben Frost / Jenny Hval
Wenn sich Bern und Zürich zusammenschliessen, dann entsteht Grosses. Das bewies der Samstagabend im Schauspielhaus, der von der internationalen Organisation Norient, welche grösstenteils von Bern aus operiert, und dem Rewire-Festival gestaltet wurde. Gemäss dem Leitsatz dieses Magazins wurden so auch in Zürich neue Musikformen aus diversen Ecken der Welt ins Rampenlicht gerückt, um von den Anwesenden kritisch betrachtet und genossen zu werden. Die neue Reihe „Sonic Fiction“ startete fulminant und führte hypermoderne Popkonstruktionen mit dystopischer Electronica zusammen. Die Wände des Pfauen zitterten nicht selten vor Wucht.
Wobei Jenny Hval die Intensität nicht in immer in den übersteuerten Frequenzen sucht. Die Norwegerin dekonstruiert seit 2003 genormte Popsongs und zeigte auch in Zürich, dass sich die Avantgarde und das Experiment in elektronisch pochende Stücke platzieren lässt. Begleitet von Håvard Volden an Synthies und Gitarre sowie abstrakt untermalt durch die Visuals und kleinen Bewegungseinlagen von Annie Bielski wurden aktuelle Themen wie Geschlecht, Sexualität und Bedeutungssucht auf unterschiedlichste Weisen beleuchtet.
Es erstaunte nicht, dass in einer Ballade Laurie Anderson erwähnt wurde – hier wartete aber niemand auf seinen Superhelden. Dem Nihilismus der digitalen Selbstaushöhlung vollends bewusst, wurden Melodien einzelner Lieder zu dadaistischen Lärmerruptionen und Songtexte zu geometrischen Animationen. Jenny Hval unterstrich dies mit kurzen Gymnastikeinlagen oder komplett aus drei Smartphones entsprungenen Improvisationen. Das Hier ist jetzt, doch die Wahrheit gibt es nicht einfach so im digitalen Äther – schön wurde einem dies wieder plakativ vor die Augen gehalten.
Ben Frost jonglierte weniger mit solchen direkten Konfrontationen, sondern verliess sich auf die intensive Wucht und Eindringlichkeit der klanglichen Gewalt. Oft in Dunkelheit gehüllt, liess der australische Komponist und Produzent Lieder und Sounds seines neusten Albums „The Centre Cannot Hold“ durch den Theatersaal hallen und labte sich an der unheimlichen Finsternis. Einzelne Synthiespuren kreisten über den Köpfen der Besucher, bis durch reflektierte Lichtstrahlen und Nebelsäulen krachende Bässe die Szenerie für sich beanspruchten. Immer wieder durch Störungen und kreischende Frequenzen durchstossen, wurden diese Tracks zu gefährlichen und wilden Gestalten.
Nicht selten fühlte man sich in Häuserschluchten der zukünftigen Megastädte gefangen und wollte schon fast Deckard um Hilfe rufen – doch Ben Frost bot in jedem Teil seines Auftrittes Fluchtwege und Ahnungen von Besserungen. Und auch in ohrenbetäubenden Bässen und Synthies kann schliesslich eine Läuterung stecken – umgehauen von der Innovation und dem Erfindergeist des Künstlers waren am Ende des Abends auf jeden Fall alle. Was auch an der geschmacksvollen Programmgestaltung von Norient lag: Diese Premiere ist auf jeden Fall mehr als geglückt.
Text: Michael Bohli