2. März 2019
Diverse Orte – Zürich
Website: radarfestival.ch
Die Samstagnacht an der Langstrasse in Zürich zu verbringen, das ist eine abenteuerliche und für viele unangenehme Tätigkeit. Dreck, Lärm und merkwürdige Gestalten – und für einmal auch viele neugierige Musikliebhaber und schick gekleidete Menschen. Das Radar Festival hat zum zweiten Mal in die Stadt gerufen und dabei mit vielen neuen Namen im Business gelockt. Gerne wagten auch wir uns unter die Leute und folgten dem Peilsender in diverse Richtungen, Überraschungen waren garantiert.
Nebst leuchtenden Werbetafeln und einer beachtlichen Plakatwand mit allen auftretenden Gruppierungen, gab es zum Einlass im Komos bereits tanzbare und soulige Minuten mit der Zürcher Sängerin Priya Ragu. Zwischen frischgebackenen Pophits und glatten Beats sorgte die Dame mit srilankischer Herkunft für erstes Glück. Der folgende Spaziergang in Richtung Amboss Garage fühlte sich dadurch wärmer an. Und in diesem Zustand blieb man dank dem Duo B77 auch gleich. Die fliegende Mischung aus Synth-Wave, Indie-House und scheuem Psychedelic-Pop der Marke MGMT sorgte für bewegende Glieder und Fernweh.
„LAX“ war immer wieder an der Wand hinter den Musikern zu vernehmen, eingebettet in passende Visuals, welche Palmen, Sternennebel und perfekt getimte Bildfolgen unter die Takte legten. Geerdet und grundehrlicher danach die Begegnung mit dem Liedermacher Kaufmann. Begleitet von seiner Band zeigte der Sänger und Gitarrist, dass sich ein Abend sehr wohl wie ein sonniger Festivalnachmittag anfühlen kann. Heimatlich, auf Mundart gesungen und oft sehnsüchtig naiv – da spürte man die Generationenablösung für Patent Ochsner heraus, da wurde das Leben zum Penis.
Einen kurzen Abstecher in den Sender zeigte der Schluss des Auftrittes von Prince Jelleh, welche in Winterthur am folkigen Indie basteln, der auch in die Nullerjahre zurückgreift und auf der kleinen Bühne anstelle eines Basses lieber mit Perkussion arbeitete. Typischer in der Formation und von weiter her waren Ilgen-Nur, die Gruppe um die gleichnamige Slacker-Sängerin aus Hamburg. Ist dies die neue Schule der Stadt? Würde passen, zeigte sich die Künstlerin ehrlich, offen und gerne auch rau. Da wird über die Periode gesprochen, da heissen Songs „Cool“ – passte nicht nur in den Club Zukunft.
Wie schön war es, dass die Gitarrenintensität von dem Moment an immer weiter gesteigert wurde. Lucia aus Glasgow liessen mit ihrer wilden Art die Amboss Rampe in ein Feuerwerk aus Riffs, ausdrucksstarkem Gesang und lautem Alternative-Rock eintauchen. Der erste Auftritt in der Schweiz wurde für die Band zu einem Gewinn, der Post-Punk-Bass zerfetzte die letzten Zweifel. Alles in Schutt und Asche gelegt wurde die Einrichtung im Gonzo. Tief unter der Erde versammelten Lady Bird ihre Jünger und prügelten mit viel Schweiss, Orgel und nackten Oberkörpern den Punk in das Festival.
Ein herrlicher Gegenpol, ein lohnender Ausraster, eine tolle Liebeserklärung an die englische Arbeiterklasse. Da waren die Clubtracks des Zürcher Produzenten Cella schon fast ein Bad im Bergbach, kühl und ohne Störung. Mit seinem sympathischen Auftreten liess der junge Künstler seine Melodien noch bunter erscheinen, die gesampelten Gesänge taten ihr übriges. Wieder konkreter und auf den Punkt gehauen wurde in der Zukunft. Georgia aus England war alleine auf der Bühne, was nie ein Problem darstellte. Zwischen modernem Pop und dem Untergrund von London gab es dröhnende Perkussion, geschichtete Stimmen und viel Strobolicht. Schnell waren alle Hände in der Höhe, schnell das Lokal komplett überfüllt.
Eng und wild ging es zu Ende, natürlich im Kino Roland, natürlich mitten auf der Langstrasse, natürlich mit viel rotem Licht. Flohio liess ihre Wortkaskaden zwischen Nebel und Umnachtung auf die Anwesenden einprasseln, was aus diesem Rap den neuen Punk machte. Pogotanz, Jubel und Euphorie – kein Wunder sprang ihr DJ immer wieder auf sein Pult, kein Wunder war die Schlange vor dem Lokal gross.
So wurden wir erschöpft, zufrieden und mit vielen neuen Eindrücken in die Nacht entlassen. Dieser Radar funktioniert grossartig, diese Nacht war ein Genuss. Schön auch, wurde die Lust an Neuentdeckungen für die Festivalleitung honoriert, der Abend war ausverkauft und die perfekte Mixtur zu jedermanns Glück.
Bands: Priya Ragu / B77 / Kaufmann / Prince Jelleh / Ilgen-Nur / Lucia / The Howl & The Hum / Lady Bird / Cella / Georgia / Flohio
Text: Michael Bohli