20. April 2017
Im Gespräch mit: Nathan Gray (Sänger) Daniel E. Smith (Gitarrist) bei Nathan Gray Collective
Seine Musik und sein Album warfen grosse Schatten vor sich – und auch nach der Veröffentlichung von „Until The Darkness Takes Us“ gibt es noch einiges zu bereden. Wir nutzten die Gelegenheit um vor dem Konzert in der Hafenkneipe Zürich mit Nathan Gray und Daniel E. Smith zu sprechen. Und dabei packten wir nicht nur den Teufel bei den Hörnern, sondern auch im Buch geblättert und in unser Inneres geschaut.
Michael: Wie ihr sehen könnt, sind wir hier in einer ziemlich kleinen Lokalität – besonders für dich, Nathan. Wie fühlt sich diese Tour an, nachdem ihr vorher grosse Festivalbühnen und Lokale bespielt habt?
Nathan: Es fühlt sich grossartig an. Klar, das sind natürlich nicht boysetsfire. Wir beginnen hier, eine komplett neue Fanbasis aufzubauen. Und jede Nacht ist es genau das, das Suchen von Verbindungen und Überzeugungen. Genau darum geht es mir auch, dass die Leute kommen und eine gute Zeit haben. So versuchen wir von Beginn an, eine tief persönliche Bindung zu unseren Fans aufzubauen und sie in unsere Arbeit mit einzubeziehen.
Daniel: Und am Ende jedes Auftritts sind wir auch bei den Leuten, geben Umarmungen, schreiben Autogramme und schütteln Hände. Es sind keine riesigen Hallen, in denen man von der Bühne geht, ohne dass uns jemand bemerkt.
Ihr seid dieses Projekt auch anders angegangen als sonst. Es sind sehr direkte Texte und persönliche Themen – aber wird das weiterhin hinter der Musik stehen? Werden die Besucher trotzdem die Musik hören, ohne sich um den Inhalt zu kümmern?
Nathan: Das spielt uns nicht direkt eine Rolle. Manche sind damit zufrieden, wenn sie tanzen und feiern können, den Alltag hinter sich lassen – wir geben ihnen auch diese Möglichkeit. Aber es gibt auch immer Leute, die eine tiefere Erfahrung suchen. Und auch diesen bieten wir etwas an. Ich „diskriminiere“ in dieser Hinsicht niemanden.
Daniel: Sehr wichtig war es für uns, bereits zu Beginn der Arbeit am Album die Atmosphäre der Lieder so hinzukriegen, wie Nathan es sich vorgestellt hatte. Die Scheibe hat eine extreme Dynamik. Es wurde bewusst so aufgebaut, um den textlichen Inhalt zu verstärken. Aber man spürt die Botschaft auch, wenn man den Gesang nicht versteht
Ihr habt die Musik im Vergleich zu früheren Alben ziemlich verändert, besonders du, Nathan. Alles wirkt nun stärker wie Dark Wave oder Gothic, das spürt man besonders in Songs wie „Skin“. War dies eine bewusste Entscheidung?
Daniel: Diese Art von Musik war schon immer in mir drin, mein tägliches Brot sozusagen. Nathan hat es als Zuhörer immer genossen, kam aber nie als Musiker zu diesem Erlebnis. Also war sein schier popartiger Stil beim Songwriting genauso eine Grenzverschiebung für mich, wie das Elektronische bei ihm.
Nathan: Und das ist so toll an diesem Album – wir durchbrechen die Schubladisierung. Es war mehr ein „finden wir heraus ob dies funktioniert“, was in uns lauert, als ein konkretes Genre. Ich glaube, wir haben es gefunden und es ist fantastisch.
Nicht für alle, es gab ein paar ziemlich durchmischte Rezensionen.
Nathan: Ach, die gibt es immer, man kann es nicht allen recht machen. Es gab schlechte und gute Kritiken – und manche waren sogar persönlich gemein, ohne Bezug zur Musik. Aber alles, was man im Leben und in der Musik machen kann ist: Tu was du magst, was dich bewegt. Nicht mein Problem, wenn es dir nicht gefällt.
Daniel: Und wir wussten, dass es ein Album wird, das man entweder liebt oder hasst – und erwarteten somit ziemlich schlimme Kritiken. Es gab viele Erwartungen in Richtung „boysetsfire light“ – aber das sollte es niemals sein. Und wer diese Erwartung bereits hatte, der wollte sich auch nicht überzeugen lassen.
Glaubt ihr, das hat auch etwas damit zu tun, dass sich die Leute nicht mehr intensiv mit der Musik beschäftigen wollen? Schliesslich kann man heute alles mit einem Klick anhören, oder man betrachtet Konzerte nur noch durch seinen Bildschirm am Smartphone.
Nathan: Die Leute wollen es manchmal einfacher. Viele wollen halt die Wiedervereinigungen, die Sachen, die man ohne Aufwand sofort begreift. Aber unsere Platte ist weniger ein Album, es ist mehr ein Audio-Film. Das haben wir bewusst so gestaltet und viele werden das auch begreifen.
Daniel: Ich glaube, dass das Album als Konzeptform eine verlorene Kunst geworden ist. Dank Dingen wie Napster oder Spotify suchen die Leute nur noch nach der nächsten Single und spielen keine kompletten Platten mehr. Nathan und ich haben das früher noch getan, man musste sich Scheiben von Pink Floyd, The Who oder The Beatles konzentriert und als Gesamtes anhören. Wenn ein Album als Ganzes keinen Sinn macht, dann muss ich mich damit auch nicht beschäftigen.
Nathan: Genau, wer will das schon? Eine Scheibe mit zwei Hits und sonst nur Füllmaterial. Was soll der Sinn sein, ihr vergeudet doch nur eure Zeit. Veröffentlicht besser nur die Single.
Ihr habt sogar ein Buch zum Album veröffentlicht, die Aussage hinter dem Werk ist also sehr wichtig. Was war denn zuerst?
Nathan: Die Idee hatte ich schon lange, doch erst mit dem Album sprang der Funken über. Wir hatten das Konzept und ich wollte die gesamte Geschichte erzählen. Die Musik sollte deutungsoffen sein, darum habe ich das Buch als Begleiter erschaffen, damit man meine Geschichte dahinter sieht. Und ich damit den Leuten zur Findung ihrer eigenen Story helfen kann – als Inspiration.
Das Buch hatte also keinen direkten Einfluss auf das Songwriting? Gerade weil du die Kapitel auch nach den Songs benannt hast.
Nathan: Das war gedacht, um die Leute durch das Album zu führen und damit sie immer sehen können, wo ich selbst an diesem Punkt war.
Daniel: Das Album hat, auch ausserhalb des Buches, einen definitiven Start und und ein definitives Ende, mit einer linearen Geschichte. Die Songtexte nehmen dich mit auf die Reise und die Musik bietet weitere Emotionen. Man kann das Album anhören und es dabei wie ein Horoskop als Leitfaden benutzen.
Allerdings ist es auch ziemlich bestimmt. Ich selber war etwas verwirrt, wie selbsthilfemässig es manchmal war und wie wenig über die Musik darin stand. Denkt ihr nicht auch, dass es etwas zu missionarisch ist und auf Leute, die euch nicht so gut kennen, etwas abschreckend wirken kann?
Nathan: Das ist für mich eine sehr verwirrende Frage – ich habe immer sehr persönliche Musik gemacht. Wenn dies also jemanden stört, dann hat er mir die letzten 20 Jahre nicht zugehört.
Sicher, aber das war doch oft auch die grösste Kritik: Der Inhalt ist zu stark bei den Aussagen der „Church Of Satan“.
Nathan: Ja, aber das Buch hat diese Diskussion doch beendet. Ich sage klar, dass ich niemanden dazu inspirieren und kein grosses Thema daraus machen will. Es war nötig, dies zu erklären, damit die Leute sagen: „Ok, ich habe dich verstanden.“ Es ist mir total egal, ob es jemand mag oder nicht – es gibt bestimmt genügend Glaubensrichtungen, die dir komplett egal sind. Wir als Band forcieren dies nicht und genau darum war das Buch auch für unsere Positionierung wichtig. Ebenso habe ich mit dem Buch einige persönliche Dinge geklärt und die Geschichte von boysetsfire beleuchtet. Wenn jemand ein Problem damit hat, dann soll er sich verpissen. (lacht)
Ihr denkt also nicht daran, noch mehr Symbolik einzubauen?
Nathan: Davon haben wir uns auf dieser Tour entfernt. Das letzte Mal war alles in rotes Licht getaucht, mit Ziegenschädeln und ähnlichem Zeugs – totales Klischee. Heute wirst du nebst den Schädeln auch Blumen und eine romantische Stimmung vernehmen. Mir ist Satan egal, das hat für mich keine Bedeutung. Man braucht all diese Religionen nicht. Was für jeden spricht ist die Idee, dass wir keine externen Kräfte brauchen, um uns aufrecht zu halten. Das können wir selber aus uns erschaffen. Eine Welt ohne externe Autorität, genau das unterstützen wir. Wir sollten unser Leben in vollen Zügen geniessen, fröhlich und das Beste in allem sein. Glückliche Menschen erschaffen eine glückliche Welt, und das hilft deinen Mitmenschen, sich besser zu fühlen – eine Wechselwirkung.
Nathan, im Buch schreibst du über die Schwierigkeiten zu Beginn deiner Karriere. Habt ihr denn ein paar Tipps für junge Bands?
Daniel: Seid geduldig und gebt nicht auf. Ich wollte seit ich Kind war ein „Rockstar“ sein – aber wusste spätestens mit dreissig, dass es nicht passieren wird. Ich wollte mich auf die Studioarbeit konzentrieren und fünf Jahre später kommt dieser Typ an (zeigt auf Nathan) und nimmt mich in seine Band. Hier wollte ich eigentlich schon mit zwanzig sein.
In einem Keller mit Ventilen … (lachen)
Daniel: Als ich zehn war dachte ich: „Könnte ich doch bloss in einem Verliess sein. Mein Leben wäre komplett!“. Aber ja, man muss einfach weiter probieren und darf keinen Soforterfolg erwarten. Das tolle sind aber die schier unendlichen Möglichkeiten, die das Internet für Musik und Fans bereithält.
Nathan: Aber tut es nicht! Lernt einen Beruf! Sonst macht ihr es uns nur schwieriger, der Markt ist überflutet. (lacht)
Ist denn Musik das Endziel oder ein Mittel und Ort, um sich zu finden oder zu verstecken?
Nathan: Es kann alles davon sein. Musik, die Bühne oder das Studio sind unsere psychiatrischen Liegen und darauf kannst du die Musik benutzen wie du willst. Es ist ein menschliches Ritual, etwas, das mehr als Umstand und Ausdruck ist. Es ist all deine Liebe, Hass, Freude oder Lust – alles, was du in dir trägst und selten rauslässt. Dass du dich mit diesen Teilen verbinden kannst ist wichtig, so kannst du den Ausgleich finden.
Daniel: Ich war immer jemand, der es liebte zu kreieren. Und ich war immer der Studio-Nerd. Es war jedes Mal die Erlösung für mich, nach der Arbeit fähig zu sein, aus dem Nichts etwas komplett Neues aufzubauen. Ohne Erwartungen oder Termine. Es war schon immer meine glückliche Zuflucht.
Das freut mich zu hören, und besten Dank für das Interview.
https://youtu.be/e3_hIt4AM50
Interview: Michael Bohli