14. August 2018
Im Gespräch mit: Sandro Perri, Musiker und Künstler aus Kanada.
Lange Jahre hat es gedauert, nun endlich kehrt Sandro Perri mit seinem neuen Album „In Another Life“ auf unsere Plattenteller zurück. Der kreative Kopf aus dem Umfeld von Constellation Records (GY!BE, A Silver Mt. Zion und mehr) hat dabei nicht nur seine Herangehensweise an die Musik geändert, sondern im Folk und der Electronica experimentiert und geforscht. Dabei ist eine repetitive und hypnotische Klangform entstanden, die „unendliche Musik“, mit welcher sich der Künstler gegen die Schnelllebigkeit der digitalen Generation stellt.
Bevor das Album am 14. September erscheint, wollten wir ein paar Dinge noch etwas genauer in Erfahrung bringen und sprachen mit dem Musiker.
Michael: Sieben Jahre sind seit der Veröffentlichung von „Impossible Spaces“ vergangen – was hast du in der Zeit alles so angestellt?
Sandro: Leben halt. Ich war ein wenig auf Tour, habe Musik geschrieben und mit diversen Leuten Alben aufgenommen. Und wir haben „Off World“ zusammengestellt und auf Constellation gleich zwei Platten veröffentlicht, in den Jahren 2016 und 2017.
Dein neues Album „In Another Life“ ist Musik in der Antihaltung zum Konsum und den leeren Lebensweisen. Sind wir in der Begierde nach Aufmerksamkeit verloren?
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Ich möchte nicht sagen was es für dich bedeuten soll, aber in meinen Augen ist es keine Protestmusik. Die Absicht war, das Tempo rauszunehmen, in den Songs zu verharren und die Entwicklungen zu beobachten. Ein paar Ideen wurden angegangen, aber es ist ein reflektives Experiment ohne Absicht auf Lösung, Auflösung und Antwort. Musik ist für mich immer eine Möglichkeit, die Vorstellungskraft zu ehren. Bis wir diese Fähigkeit verloren haben, sind wir nicht völlig „verloren“ – um deine Frage zu beantworten.
Leute müssen gesehen werden, und mit der neuen Technologie haben wir neue Wege gefunden, diese Bedürfnisse zu decken. Die Digitalisierung kann alles erobern und in eine Sucht umkehren, wie etwa dein Smartphone 50 Mal am Tag auf Nachrichten zu prüfen. Die Produzenten haben herausgefunden, wie eine Sucht funktioniert und den steten Tropfen für unseren Alltag kreiert. Da kann man die Nutzer eigentlich nicht dafür beschuldigen.
Wie kann man denn einen gesunden Weg in der Nutzung von Technologien wie Instagram und Facebook finden?
Ich bin mir nicht sicher. So wie die Dinge momentan designt sind, zielen sie auf die Sucht ab. Wie formbar der menschliche Massstab in dem digitalen Konsum ist, kann ich nicht sagen.
Deine Musik ist sehr sanft und ruhig. Denkst du, Kunst funktioniert besser mit einer gewissen Zurückhaltung?
Bei Alben – für mich – ja, meistens jedenfalls. Aber ein Album kann so hart, sanft, laut oder leise sein wie du es möchtest, du musst nur die Lautstärke an deiner Stereoanlage hoch- oder runterdrehen. Musik zu machen, die sich leise anfühlt, ist immer eine Art Beziehung zur Stille, dem Klang „Null“. Das ist für mich wunderschön. Laute Musik zu machen ist hingegen eine Möglichkeit, mehr Raum mit dir selbst zu füllen. Du vergrösserst dein Volumen wortwörtlich und kreierst grössere Wellen – das ist Kraft. Am besten ist es wohl aber, eine Balance zu haben – wobei ich mehr daran interessiert bin, die unteren Schwellen zu expandieren. Ich will wissen, was nahe an der Null passiert. Es ist nicht Tod, es ist Leben in mikroskopischer Form.
Das Cover von „In Another Life“ widerspiegelt die Stimmung der Musik und die Weise, wie kontemporäre Kunst miteinfliesst. Besuchst du gerne Galerien und Museen?
Auf jeden Fall! Aber ich mag kurze Besuche, sonst wird es zu viel zum Verdauen. Das Covermotiv ist wie ein kleiner Cartoon über den Moment, in dem du etwas betrachtest, das du nicht wirklich definieren kannst – um zu sehen, was dein Geist damit anstellt. Auf dem Rückbild ist der Moment, in dem du realisierst, wieviel Freiheit darin liegen kann, nicht alles mit einer Bedeutung aufladen zu müssen.
Du hast für den zweiten Song auf dem Album zwei Gastsänger gewählt. Wie kamst du auf André Ethier und Dan Bejar?
Bei ihnen wusste ich, dass sie wissen, was zu tun ist. Ich liebe beide Stimmen und ihre Kompositionsweisen – sie sind auch sehr unterschiedlich zu mir und einander gegenüber. Das war wichtig, ich brauchte den Kontrast. Dan habe ich zum ersten Mal übrigens in der Schweiz getroffen, am Heartland Festival in Vevey, André kenne ich seit Jahren. Wir haben zwei Soundtracks zusammen gemacht und ich habe sein letztes Album „Under Grape Leaves“ produziert. Beide sind fantastische Künstler und ihre Teilnahme hat mein Album für mich noch wichtiger gemacht.
Wann hast du denn zum ersten Mal über endlose Lieder nachgedacht – und hat es gleich beim ersten Versuch geklappt?
Über „unendliche Musik“ habe ich erst nachgedacht, als ich nach den Aufnahmen die Songs beschreiben musste. Meine Regel ist, NIE mit einem Konzept zu beginnen. Die Musik diktiert mir, wohin die Reise geht und was ich tun muss, nicht umgekehrt. Es ist nicht unehrlich zu sagen, dass es ein Experiment im unendlichen Songwriting war. Aber es ist auch wichtig zu wissen, worin der Unterschied zwischen dem Zeichnen einer Karte und dem Ausfahren eines Freundes liegt.
Du komponierst, spielst, singst und nimmst auf. Wie wichtig ist die persönliche Freiheit in der Musik?
Das Aufnehmen ist eine praktische Veranlagung. Ich habe ein eigenes Studio und somit ist es für mich günstiger, wenn ich es selber mache. Beim Komponieren und Spielen bin ich eher in persönlichen Einschränkungen als Freiheiten involviert. Viel öfters heisst es von der Musik „nein, das ist es noch nicht“ und selten „ja, sei frei und tu was du willst“. Wenn meine Mitmusiker dies nicht spüren und ich sie nicht leiten kann, dann muss ich die Lösung selber finden – egal, wie lange es dauert. Es wird während diesem Prozess oft nein gesagt, zur Konditionierung, Effizienz, Faulheit, Annahmen und so weiter. Zu Sachen, die eher mir dienen als der Musik. Das tut weh, wenn ich dann der Band absagen muss. Ich habe das grosse Glück, mit unglaublichen Musikern arbeiten zu können – ihr Einfluss ist sogar in der Musik, wenn ich nein sage.
Kann man über diese Möglichkeit in einer Band denn verfügen?
Gewisse Musik ist dafür gemacht, gemeinsam erspielt zu werden, und das kann sehr befreiend für die einzelnen sein. Andere wiederum wird aus der persönlichen Perspektive gemacht und in dem Fall wäre ein kollektiver Ausdruck eine Einschränkung.
Du hast zum 15-Jahre-Jubiläum von Constellation Records in Bern gespielt. Wirst du unser Land wieder einmal besuchen?
Das war eine echt tolle Nacht und ja, ich würde sehr gerne wieder in die Schweiz kommen. Mein Traum ist es, die Bühne, welche Van Morrison in 1980 bespielt hat, zu betreten – Montreux.
Vielen Dank für deine Zeit und Musik.
Interview: Michael Bohli