16. Februar 2021
Im Gespräch mit: Lùisa, Musikerin aus Hamburg.
Foto: Nikolai Dobreff
Wir lieben Musik, viel lieben Filme. Doch wie steht es mit der Mischform der Musikvideos? Sind diese nach dem Dahinsiechen von MTV noch wichtig? Leisten Clips einen unverzichtbaren Bestandteil zum Dasein von Künstler*innen? Wir haben mit Lùisa aus Deutschland über dieses Thema gesprochen. Die Hamburgerin hat mit ihrer neuen Single „New Woman“ bewiesen, dass sie die Popmusik perfekt mit bewegten Bildern zu untermalen weiss.
Das neue Album „New Woman“ erscheint am 7. Mai 2021 bei Nettwerk Music Group.
Michael: Du hast vor Kurzem deine Single „New Woman“ mit Video veröffentlicht; ein Clip, der mit viel positiver Energie geladen ist. Wie kam das Projekt zustande?
Lùisa: In „New Woman“ geht es darum, sich als Frau von einengenden Stereotypen zu befreien und über das hinauszuwachsen, was man als Frau an gendernormativen Konventionen und Selbstzweifeln in sich trägt. Es geht natürlich auch um meine eigene Geschichte, meinen eigenen Weg als Frau in der Musikbranche. Trotzdem wollte ich für den Song ein Video produzieren, das die Message des Songs nicht nur auf dieser individuellen Ebene unterstützt, sondern die kollektive Dimension des Songs hervorbringt.
Ich wusste, dass ich ein Performance-Video machen wollte, Tanz, 80s-Look, und mit vielen tollen Frauen arbeiten, um ihnen Raum in diesem Video zu geben. Den Berliner Regisseur Ivan Boljat und seine Arbeitskollegin Jouana Samia, eine fantastische, deutsch-libanesische Choreographin, Regisseurin und Tänzerin, sowie das Kollektiv von Lucid Dreams Productions habe ich über diverse Ecken kennengelernt.
Das war nach langer, kompromissloser Suche für das richtige Team wirklich das Match „made in heaven“. Ivan und das Team haben meine ursprünglichen Ideen toll ausgearbeitet und ihr Konzept mit so viel Energie und Herzblut umgesetzt. Am Drehtag hatten wir so viel Spass, die Energie war toll, hoffnungsvoll und mitreißend. Ich bin wirklich glücklich mit dem Video und darüber, so tolle Menschen über die Musik zu treffen.
Die Single klingt einiges anders als dein letztes Album „Never Own“. Ist es eine Art Befreiungsschlag?
Der Song „New Woman“ ist auf jeden Fall ein Befreiungsschlag. Er hat eine lange Entstehungsgeschichte und ist für mich Sinnbild für den musikalischen und persönlichen Prozess der letzten Jahre.
Die Lyrics handeln von Befreiung, aber auch auf musikalischer Ebene musste ich mich gewissermaßen wieder freikämpfen, neu definieren. Ich glaube, als Musiker*in muss man immer wieder bereit sein, die Vergangenheit loszulassen, um sich nicht selbst zu reproduzieren. Man muss raus aus der eigenen Kategorie. Meine Vision war früh klar, aber ich habe sehr lange geforscht, um den Sound für den Song zu finden und diesen für das Album umzusetzen.
Auf persönlicher Ebene war das Bild der „New Woman“ in den letzten Jahren immer wieder eine Art perspektivischer Fluchtpunkt: sich von Schmerz loslösen zu können, aus Krisen rauszukommen, sich von Zweifeln nicht zersetzen zu lassen. Das Wiederaufstehen und sich freischlagen ist auch das Überthema des neuen Albums, weswegen „New Woman“ der titelgebende Song ist.
Dürfen wir zu deinem kommenden Album „New Woman“ noch weitere Videos erwarten? Darfst du schon etwas verraten?
Ja, ich bin gerade wieder mittendrin im Tüfteln und in der Umsetzungsplanung für das nächste Video. Nach „Deep Sea State of Mind“ und „New Woman“ werden auf jeden Fall noch weitere Videos zu den Singles kommen.
Musikvideos können heutzutage von fast allen Menschen gedreht werden – werden aber im TV beispielsweise praktisch nicht mehr ausgestrahlt. Ist das Medium noch relevant?
Ich finde auf jeden Fall, dass Musikvideos noch relevant sind, vielleicht im Zeitalter des Internets mehr denn je. Vor allem aus künstlerischer Sicht: Mir persönlich ist die Verbindung von Film und Musik wichtig, da ich finde, dass Musik eine weitere, sehr kraftvolle Dimension durch Bilder bekommen kann. Die Bilder transportieren die Musik anders in die Köpfe der Menschen und die Bilder des Films kommunizieren auf interessante Weise mit den Textbildern und den Elementen der Musik selbst.
Sollen die Bilder der Videos die Botschaften der Songs denn unterstreichen, hervorheben? Oder ist ein diametral gesetzter Weg interessanter?
Die Bilder des Songtextes sollten für mein Verständnis sicher nicht eins zu eins als Film umgesetzt werden – dadurch wird die Botschaft zu dick aufs Brot geschmiert. Ich finde es interessant, wenn Aufnahmen dem Song eine weitere Bedeutungsebene hinzufügen und dadurch eine ganz eigene Symbiose aus Musik und Visuals entsteht. Man muss jeder Ausdrucksform eigenständigen Bedeutungsraum geben. In der Schnittmenge der beiden Künste unterstreicht das Video sicherlich die Botschaft des Songs.
Abschliessend drei aktuelle Musikvideos von Künstlerinnen. Was fällt dir zu diesen Songs und den Clips ein? Lassen sich Rückschlüsse zu deiner eigenen Arbeit ziehen?
Grimes & i_o – „Violence“
(vom Album „Miss Anthropocene„)
Ich liebe Grimes‘ Arbeit, und sie hat mich in den letzten Jahren immer wieder sehr inspiriert. Sie ist eine Künstlerin, bei der man wirklich erkennen kann, wie relevant Musikvideos in unserer heutigen Zeit sind, wie die Verbindung aus visueller Sprache und Musik im Allgemeinen. Eventuell wäre Grimes ohne ihre visuellen Arbeiten, quasi nur allein mit ihrer Musik, nicht so bekannt geworden, weil man durch die Filme ihre Musik und Produktion nochmal anders verstehen kann.
Das Musikvideo zu „Violence“ ist fantastisch. Grimes Verbindung von Etheral Pop und der mythologischen Bildsprache finde ich sehr bezwingend.
Liraz – Zan Bezan
(vom Album „Zan„)
Die Künstlerin kannte ich bisher nicht – toller Song. Es ist wirklich spannend zu lesen, dass sie eine israelische Künstlerin ist, die heimlich mit iranischen Künstler*innen zusammengearbeitet hat und selbst auf Farsi singt. Ich verstehe leider kein Farsi, und kann die Message des Songs so nur durch die Bilder verstehen. Es wirkt unglaublich stark und die Bildsprache wirkt für mich wie ein politisches Statement; ein Statement zu female empowerment. Ich kann mir vorstellen, dass die Bilder die Message des Songs noch verdichten. Ausserdem: Tolle Farben, tolles Licht.
Anna Aaron – Rooms
(vom Album „Pallas Dreams„)
Auch diese Künstlerin kannte ich noch nicht, ich mag den ätherisch-mystischen, weiten Sound sehr gern. Die Kostüme sind sehr toll – ich habe gelesen, dass das Video eine Kollaboration zwischen der Musikerin und Fashion Designer Timon Imveldt ist. Ich liebe es, wie im Musikvideo verschiedene Kunstformen zusammenkommen können. Gerade das Styling ist ein wirklich essentieller Bereich, der gern mal unterschätzt wird.
Vielen Dank für deine Zeit und Musik.
Interview: Michael Bohli