Band: Shame
Album: Drunk Tank Pink
Genre: Post-Punk
Label: Dead Oceans
VÖ: 15. Januar 2021
Webseite: shame.world
Billy Corgan sagte im Interview mit VISIONS: „Die Gitarre ist tot, was moderne Musik angeht. Und dabei spreche ich nicht nur über Rap, sondern ganz allgemein über das, was du heute in den Charts findest: Gitarren finden dabei nicht mehr statt.“ Ist Gitarrenmusik demzufolge nur noch rückwärtsgewandt? Ist die Rockmusik vermeintlich tot, weil ihr Herz altersschwach wurde: die Gitarre? Von zigtausenden Songwriter*innen bis auf den letzten Tropfen Blut ausgequetscht, durchsetzt von ebenso vielen Versuchen, darauf Arrangements aufzubauen, die so noch nie da gewesen. Aber so einfach ist es nicht. Denn in der heutigen modernen Zeit ist nichts mehr einfach. Und deshalb ist „Drunk Tank Pink“ nicht nur ein musikalisches Plädoyer für unkonventionelle Gitarrenmusik, es ist auch ein Plädoyer für die Komplexität der menschlichen Psyche, die nach einer gewissen Differenzierung verlangt. Der Mensch hingegen neigt genau dann zum Vereinfachen, wenn es kompliziert wird. „Drunk Tank Pink“ tappt nicht in diese Falle und braucht auch deshalb seine Zeit.
Wie schreibt man also neue, aufregende Gitarrensongs, wenn schon so viele davon existieren? Diese Aufgabe stellte sich Gitarrist Sean Coyle-Smith und das Ergebnis ist mehr als „nur“ Post-Punk. Shame sind damit weniger linear im Songwriting als Genrenachbarn wie Idles oder Fontaines D.C., irgendwie aber auch umständlicher. Vielleicht haben Shame etwas Pech damit, dass „Drunk Tank Pink“ auf die tollen Post-Punk-Alben des letzten Jahres folgt: Die Latte liegt sehr hoch. Mit ihrem auch für sie neuen Ansatz umgehen sie andererseits souverän den Vorwurf, Trittbrettfahrer zu sein, welchen aber eigentlich das hochgelobte Debüt „Songs Of Praise“ bereits hochkant aus dem Club schmiss. Dennoch: “Great Dog“ wäre auf „Ultra Mono“ nicht weiter aufgefallen.
Einige Songs beginnen stark, verlieren dann aber den Faden. Bestes Beispiel ist „Born In Luton“, dessen Einschübe sich zwei Mal in den fantastischen Groove drängen. Die etwas rohe Produktion trägt ihr Übriges dazu bei, dass man auf Distanz bleibt. Und so wird “Drunk Tank Pink“ auf sich selbst zurückgeworfen, die neue Stille als Basis, um die eigene Stimme vielleicht mehr zu hören, als einem lieb ist. Im Lockdown mit sich selber eingesperrt. Nur vermögen Songs wie “Water In The Well“ dieses Gefühl nicht zu transportieren. Das schafft „Snow Day“ besser: „Then I fall to you/ In my mind“. Hier wird die Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche greifbarer, wenn auch die Einschübe wiederum alles zersetzen. Das Stilmittel offenbart sich deutlich und legt gleichzeitig aber auch eine Orientierungslosigkeit frei, welche einen auf Dauer ratlos zurücklässt. Richtig gut wird es in „6/1“, wo der ganze Zwiespalt auf den Punkt kommt. Insgesamt ist es aber zu wenig des Guten.
Und Billy Corgan? Ihm geht die Differenzierung deshalb ab, weil er sich zu sehr mit sich selber befasst und sich dabei in Widersprüchen verliert. Er definiert moderne Musik über ein Instrument, vielleicht sogar übers Songwriting. Das ist legitim. Aber beides alleine macht Musik nicht relevant, sondern zunächst zu einem Handwerk. Relevante Musik jedoch braucht Herz. Und von diesem Standpunkt aus betrachtet, sind Shame aktuell relevanter als die Smashing Pumpkins.
Tracklist:
1. Alphabet
2. Nigel Hitter
3. Born In Luton
4. March Day
5. Water In The Well
6. Snow Day
7. Human, For A Minute
8. Great Dog
9. 6/1
10. Harsh Degrees
11. Station Wagon
Bandmitglieder:
Eddie Green – Gitarre
Charlie Forbes – Schlagzeug
Josh Finerty – Bass
Sean Coyle-Smith – Gitarre
Charlie Steen – Gesang
Gründung:
2014
Text: Michael Messerli