Band: Glass Animals
Album: Dreamland
Genre: Indie-Pop / Electro / Psychedelic
Label: Wolf Tone / Polydor
VÖ: 7. August 2020
Webseite: glassanimals.eu
Die Entstehungsgeschichte hinter dem neuen Album der Glass Animals „Dreamland“ ist gespickt mit all den Dingen, die ein Drama so spektakulär machen. Da ist eine lange Männerfreundschaft – Mastermind, Keyboarder und Sänger Dave Bayley und Drummer Joe Seaward kennen sich seit der Kindheit. Dann der Unfall. Joe pedalt vor etwas mehr als einem Jahr auf seinem Velo durch die Strassen Dublins. Eine Sekunde der Unaufmerksamkeit. Ein Laster rammt ihn. Er überlebt nur knapp. Es dauert Monate, bis er wieder gehen, sprechen und letztlich auch Schlagzeug spielen kann.
Es sind Monate des Hoffens und Bangens, des Verzagens und des inneren Rückzugs für seinen besten Freund Bayley. Zugleich sind es Monate der Kreativität. Der Komponist verkriecht sich in Kindheitserinnerungen, in Nostalgie. Als Kind hatte er seine Erlebnisse nicht immer positiv empfunden, nun verklärt er sie dennoch. Er nennt die Welten „Dreamland“ – und aus ihnen stammen die neuen Songs der Glass Animals.
Song Eins, der Titeltrack, ist mit seiner leisen Glasvibraphon-Melodie eine Art Ausgangsbahnhof für die Reise durch das „Dreamland“. Von ihm aus führt der Weg zu weiteren Traum-Stationen: zu heissem Zucker, einem pendelnden Geist, Tokyo, Melonen und Kokosnuss, Hitzewellen und letztlich zur Endstation Helium – oder im übertragenen Sinn vermutlich himmelwärts. Die Stationen – Wortspielereien aus den Songtiteln – spiegeln diese kindlich verspielte Farbenpracht wider, die uns die Glass Animals auch akustisch präsentieren.
Zwei Dinge fallen auf.
Erstens: Die Band sucht innerhalb der Harmonien nicht klassischerweise den Groove der instrumentalen Synchronisierung, sondern der Versetzung. Oftmals legt sie Rhythmen von Drums, Synthesizern oder gar der Gitarre leicht verschoben übereinander. Wie ein Loop-Gitarrist geht die Band vor: baut langsam auf, Ebene für Ebene. So lässt sie den Elementen Zeit, sich im Gehör zu setzen und vom Bruch zur Gewohnheit zu werden. Und am Schluss bringt die Band die Schichten magisch zusammen. Dadurch entwickeln die Songs eine mathematische Ästhetik, komplex, aber niemals wirr. „It’s All So Incredibly Loud“ ist das beste Beispiel dafür. Die Musiker verweben zunächst die Mellotron-Sounds ineinander, unterlegen dann kurz ein paar Takte Drum-Triolen, lassen sie wieder verschwinden und ersetzen sie durch schnelle Staccato-Moogs. Nun jammert Bayley eine Melodie darüber, bis schliesslich die Drums zurückkehren und den Song vorwärtspeitschen. Weitere Schichten folgen; was zunächst still war, gewinnt an Volumen und findet die Klimax in der wiederholten Titelzeile.
Zweitens: Bayley findet zurück zu seiner Gitarre. Er, der nebst dem Drummer als einziger im pianolastigen Bandgefüge gar keine Keyboards spielt und vermutlich einen guten Teil seiner Songs auf Saiteninstrumenten komponiert, hat mit ebendiesen in der Vergangenheit so sehr Verstecken gespielt, dass sie auf dem Vorgängeralbum kaum noch hörbar waren. Versteckt bleiben sie zwar auch auf dem neuen Album, doch das liegt vor allem an Bayleys Soundtüfteleien, die den Klang nicht immer auf Anhieb als der Gitarre entsprungen erkennen lassen. Im Song „Space Ghost Coast To Coast“ etwa spielt er sie fast wie einen Walking Bass, aber mit allerlei Verzerrungen drauf. Und in „Melon And The Coconut“ dreht er das Tremolo-Pedal voll auf, um einen überzeichneten Hawaii-Effekt zu erzeugen. „Helium“ – das Schlussfeuerwerk – dient Bayley schliesslich dazu, die Gitarre in ihrer erkennbarsten Form zu feiern. Mittig im Song fährt er das Arrangement bis auf die leicht verzerrte und durch den Kompressor gejagte Gitarre herunter, sodass sie klingt, als hätte sie John Frusciante zu Zeiten der Red Hot Chili Peppers gespielt. Doch dieser kurze „Dream of Californication“ verfliegt rasch, fliesst in die Melodie des Glasvibraphons vom Anfang des Albums zurück – allerdings ein paar Töne tiefer. Der Traum endet am Ausgangspunkt, allerdings gefüllt mit ganz neuen Erkenntnissen.
Tracklist:
1. Dreamland
2. Tangerine
3. ((home movie: 1994))
4. Hot Sugar
5. ((home movie: btx))
6. Space Ghost Coast To Coast
7. Tokyo Drifting
8. Melon And The Coconut
9. Your Love (Déjà Vu)
10. Waterfalls Coming Out Of Your Mouth
11. It’s All So Incredibly Loud
12. ((home movie: rockets))
13. Domestic Bliss
14. Heat Waves
15. ((home movies: shoes on))
16. Helium
Bandmitglieder:
Dave Bayley – Gesang und Gitarre
Drew MacFarlane – Keyboards und Gitarre
Edmund Irwin-Singer – Keyboard
Joe Seaward – Schlagzeug
Gründung:
2010
Text: David Kilchoer