Heyne Hardcore / ISBN: 978-3-453-27362-7
Text: Torsten Sarfert
Laut eigener Aussage ist Florian Weber eher Geschichtenerzähler als Literat. So schreibt er denn auch gerne intuitiv drauflos. Soeben geschehen bei seinem dritten Buch „Die wundersame Ästhetik der Schonhaltung beim Ertrinken“.
Da treibt der an Gedächtnisverlust leidende Protagonist Heinrich mitten im lauwarmen Ozean, geklammert an eine Kühlbox und in Gesellschaft eines bewusstlosen Clowns, eines Lamas und eines Klaviers. Wie konnte das passieren, wie wird das alles enden und was hat das Ganze eigentlich mit Musik zu tun? Immerhin sind die geneigten ARTNOIR-Leser:innen vermutlich für die Musik hier. Nun ja, letztere Frage ist leicht beantwortet: Florian Weber ist im Hauptberuf Drummer der deutschen Indie-Rockband Sportfreunde Stiller und lässt mehrmals im Buch proklamieren, dass Musik alles grösser mache und quasi die Essenz des Lebens sei. Dies können Leser:innen von Musikmagazinen fröhlich bestätigen.
Die Auflösung der Geschichte mit der abstrusen Ausgangssituation gestaltet sich komplexer. Während Heinrich im Ozean zunächst um das nackte Überleben sowie seine Erinnerung kämpft, tauchen scheibchenweise Erinnerungsfetzen seiner Kindheit auf und verhindern wiederum – zusammen mit der Kühlbox und einigen Dosen mexikanischem Biers – sein frühzeitiges Abtauchen. Als da wären seine idiotischen Brüder, sein patriarchalischer Vater und seine zwar bemühte, aber durchsetzungsschwache Mutter. Die hämischen Klassenkameraden, sein bester und einziger Kumpel sowie die erste, traumatische Liebe. Aber auch der geliebte und liebende Onkel Wendelin, in dessen Antiquariat er die schönsten, prägendsten und gleichermassen sehr zurückgezogenen Zeiten seines noch jungen Lebens verbringen durfte. Als Wendelin an Krebs erkrankt, nötigt er den introvertierten Heinrich sanft, aber bestimmt, ihn an einem ausgedehnten Roadtrip durch die Südstaaten Amerikas zu begleiten indem er ihm diese Reise „ante mortem“ vererbt. Dieses Erbe lässt sich nicht ablehnen und klingt dazu spannend. Also raus aus der Schonhaltung und ab in den Flieger.
Die darauffolgende Reise auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und des Sterbens ist ein melancholisch-philosophisches „Road Book“ mitten durch die amerikanische Populärkultur. Hier ein bisschen „On the Road“, da ein bisschen „Bonnie & Clyde“ und ein Hauch „Paper Moon“. Zuweilen wirkt es zwar konstruiert und überladen, sorgt aber für einen konsequenten Erzählrhythmus und ermöglicht auch ein paar tarantino-eske Szenen. Aber der Weg ist das Ziel, vor allem bei einem Road Book. Manchmal meint man unwillkürlich eine kratzige Blues-Nummer, einen Springsteen-, Dylan oder Tom Waits-Song aus dem Autoradio zu hören. Vielleicht lässt sich Florian Weber zu einer kuratierten Playlist hinreissen. Benedict Wells hat das bei seinem letzten wunderbaren Werk „Hard Land“ kongenial vorgemacht. Denn Musik macht bekanntlich alles grösser.