Interscope Records / VÖ: 31. März 2023 / Indie, Singer-Songwriter, Folk
xboygeniusx.com
Text: Michael Messerli
Es gibt da dieses Cover-Foto von boygenius auf der Februar-Ausgabe vom Rolling Stone, das Julien Baker, Phoebe Bridgers und Lucy Dacus genauso zeigt, wie sich Nirvana 1994 einst ablichten liessen. Mit Anzug und Krawatte. Und dann gibt es da das Cover-Foto ihrer selbstbetitelten EP von 2018, wo sie sich genauso präsentierten, wie Crosby, Stills und Nash damals auf ihrem Debüt.
Ist nun die Zeitenwende gekommen? Sind boygenius die neuen Nirvana? Hätte nicht Conor Oberst damals der neue Kurt Cobain sein sollen, der mit Phoebe Bridgers auch schon ein viel beachtetes Album aufgenommen hat? Es ist ein Spiel mit Erwartungshaltungen und eines scheint trotzdem sicher: «The Record» ist eine Platte, die kaum besser für den Keychange stehen könnte. Nur dass boygenius weder diese Absicht hatten noch wirklich diese Dinge ins Schaufenster stellen möchten. Da stehen sie aber nun einmal. Und das zurecht.
Im Fall von boygenius sprechen wir aber nicht von einem Hype rund um ein paar Debütantinnen, die im Marketingrausch der Musikindustrie auf die Cover von Magazinen gespült wurden. Und genau deshalb durfte man davon ausgehen, dass boygenius kaum krachend scheitern. Konnten sie also eigentlich nur gewinnen? Die Antwort lautet nein, denn wer im Schaufenster steht, stand schon immer und heute ganz besonders gleich unter scharfer Beobachtung.
Vielleicht auch deshalb geht es der Band nicht um den Keychange, es geht ihr um die eigene Freundschaft. «We’re In Love». Dass sie dabei in einer Komfortzone angekommen ist, kann man ihr kaum verübeln. Es ist ein Album voll von Querbezügen, selbstreferentiell und sehr gelungen. «The Record» ist vieles, dabei vorwiegend ein wärmendes Kaminfeuer und kaum ein «Nevermind», weil dafür nicht mutig genug. Es will aber auch nicht mutig sein. Es ist Zuneigung, ohne dabei Funken zu sprühen.
Bei allen drei Songwriterinnen ist nicht das aktuelle Album das beste, sondern das jeweils vorherige. Die Aufmerksamkeit ist jedoch gegenüber allen gestiegen. Natürlich haben auch die ersten boygenius-Songs dazu beigetragen. Wäre 2018 ein ganzes Album daraus geworden, würde das Verdikt wohl ähnlich ausfallen: Es wäre stärker als «The Record». Es hatte diese Magie, dieses frisch Verliebte. «The Record» dagegen ist eine harmonisch funktionierende Beziehung. Damit kommt es der Realität näher. Und darin steckt die wahre Qualität.