9. April 2018
X-TRA – Zürich
Bands: Tocotronic / Ilgen-Nur
Es waren schon immer die Parolen, die einzelnen Zeilen, welche man in jeder Lebenslage und möglichst laut anwandte. Diese Wortreihen der Wohnzimmerrevolution, genauso lakonisch formuliert wie explosiv konnotiert von Dirk von Lowtzow. Kein Wunder also, wurden am Montagabend in Zürich immer wieder die Fäuste in die Luft gestreckt und Refrains von einem lauten Chor wiedergegeben. Schön war aber auch, dass sich die Hamburger Rockgruppe Tocotronic im X-TRA als Gitarrenmacht positionierte und erneut bewies, dass deutsche Texte, intelligente Kompositionen und wilde Nächte sich nicht ausschliessen müssen.
„Let There Be Rock“, „Sag alles ab“, „Aber hier leben, nein danke“ – Tocotronic wussten während des gesamten Auftrittes ihre Punk- und Krachlieder geschickt zwischen den eleganten Schunklern und nachdenklichen Alltagsbetrachtungen zu platzieren. Klar im Zeichen des neuen Albums „Die Unendlichkeit„, aber immer bereit, in die Vergangenheit zu schweifen: Dieses Konzert war eine Wohltat für alle Freunde der Hamburger. Und auch sie selber zeigten sich mehr als zufrieden mit dem Abend. Gut gelaunte Ansagen, Akkorde und Melodien, die immer wieder im Verzerrungsrausch untergingen und eine Spielfreude, die oft gar auf Pausen zwischen den einzelnen Songs verzichtete.
Es ist Tocotronic hoch anzurechnen, dass sie es trotz ihres sehr grossen Katalogs auch 2018 geschafft haben, innert nur zwei Stunden alle Facetten ihrer Karriere zu streifen. Ein jeder wird zwar nach einem solchen Abend gewisse persönliche Highlights vermissen, aber Momente wie „This Boy Is Tocotronic“, „Mach es nicht selbst“ oder „Kapitulation“ waren einfach nur stark. Ganz zu schweigen von dem Reigen, der sich bei den Zugaben ergab. Die Band kam nämlich mehrere Male auf die Bühne zurück, sogar nach der eigentlichen Schlussfanfare. Und so konnte man mit dem Kracher „Freiburg“ und dem nicht ganz in purer Vernunft endenden „Gegen den Strich“ wahrlich in den Gitarrenhimmel fliegen.
Nicht ganz so satt und wild waren Ilgen-Nur im Vorprogramm. Ebenfalls aus Hamburg, zeigte sich die Sängerin zum ersten Mal mit ihrer Band in Zürich und wandelte sicher zwischen süsser Hommage an die Neunziger und aktuellem Slacker-Verhalten. Zwei Gitarren mit frechen Melodien, ein Bassist mit hemmungslos bearbeiteten Saiten und eine sichere Hand bei der Wahl der Texte und dem Auftreten trösteten aber schnell darüber hinweg, dass die Abmischung im Saal eher suboptimal war. Und so ergänzten sich die zwei Bands nicht nur, sie boten auch eine durchkomponierte Steigerung zu jeder Minute. „Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen“, tue dies aber gerne bis in die Unendlichkeit.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
1. Die Unendlichkeit
2. Electric Guitar
3. Let There Be Rock
4. Drüben auf dem Hügel
5. Kapitulation
6. Wie wir leben wollen
7. Ich lebe in einem wilden Wirbel
8. Die Grenzen des guten Geschmacks 2
9. Aber hier leben, nein danke
10. Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen
11. Hey Du
12. This Boy Is Tocotronic
13. Unwiederbringlich
14. Zucker
15. Sag alles ab
16. Macht es nicht selbst
17. Das Geschenk
18. Alles was ich immer wollte war alles
Zugabe
19. Hi Freaks
20. Letztes Jahr im Sommer
21. Explosion
22. Freiburg
23. Gegen den Strich
Text: Michael Bohli