30. Mai 2018
Halle 622 – Zürich
Bands: Thom Yorke / Oliver Coates
Jede Bewegung kostete einen gefühlten Liter Schweiss, jede Nähe war zu viel. Trotzdem tanzte der englische Musiker wie frisch geboren und auf unvergleichliche Weise über die Bühne und strahlte eine Leichtigkeit aus, die man so von ihm nicht kannte. Wie gut es doch für einen Künstler sein kann, sich für einmal von allen Erwartungen und Belastungen der Vergangenheit loszulösen und etwas Neues zu starten. Kein Wunder also, war das erste Solokonzert von Thom Yorke in Zürich zwar anders als gedacht, aber immerzu eine Liebeserklärung an die Klangarbeiten und Möglichkeiten der heutigen Zeit.
Jeder, der sich in die Halle 622 bewegt und von diesem Abend eine Best-Of-Show zwischen „Creep“ und „Burn The Witch“ erwartet hatte, der wurde zu Recht eines Besseren belehrt. Sicherlich wäre das Konzertlokal niemals so gut ausgefüllt gewesen, wenn Thom Yorke nicht als Sänger von Radiohead seit Jahren für Begeisterung gesorgt hätte – diese Show war aber eine nötige Emanzipation von genau dieser Gruppe. In reduzierte und stark digitale Umgebungen wurde man ohne Warnung geworfen, hangelte sich von einzelnen Gitarrenspuren über knarrende Bässe zu den erlösenden Flächen. Ob strukturiert wie „Black Swan“ oder sehr abstrakt wie die Doppelversuchung von „Pink Section“ und „Nose Grows Some“, alles vermischte sich.
Und das grosse Resultat war mehr als nur eine Vermengung zwischen DJ-Set und Konzert, denn Thom Yorke und seine Begleiter Nigel Godrich Tarik Barri, wechselten geschickt zwischen den Instrumenten und Computer, um analoge Sounds direkt in binäre Codes einfliessen zu lassen. Was auf dem Album „Tomorrow’s Modern Boxes“ somit oft sehr kühl daherkommt, wurde in Zürich intensiviert und lebendig gemacht, ohne ein Monster kreiert zu haben. Da passte es auch, dass mit „Amok“ und „Default“ zwei Songs des Atoms-For-Peace-Projekts in die Setlist rutschten und den Menschen somit als zentrales Element behielten.
Flackernde Sterne, Lichtstrahlen wie Feuerzungen und explodierende Geometrien – dank der grossflächigen Projektionen wurde das Geschehen auf der Bühne visuell fesselnd und liess so manchen die hohen Temperaturen vergessen und die interessante Mischung aus Electronica, Art-Rock und Experimental zur neuen Gravitation werden. Bis man am Ende mit „Spectre“ dann doch wieder in die Realität und zu dem geisterhaft umherhuschenden Namen zurückkehrte. Doch jetzt fühlte sich die Verbindung zu seiner Hauptband anders an, weniger zwingend. Thom Yorke kam alleine, und das war perfekt so.
Als einzelne Figur befand sich auch Oliver Coates im Vorprogramm auf der Bühne. Umgarnt von wenigen blauen Lichtern breiteten sich sphärische Backtracks über den Köpfen der Besucher aus und erschufen Kristalle aus Ambient, über die der Künstler aus London mit seinem Cello Tonfiguren legte, welche jeden Zentimeter des Körpers elektrisierten. Eine Gratwanderung zwischen IDM, Techno und Minimalismus, eine bedächtige Ouvertüre zu einem in richtigen Massen introvertierten Abend.
Setlist [Quelle: Setlist.fm]
1. Interference
2. A Brain In A Bottle
3. Impossible Knots
4. Black Swan
5. I Am A Very Rude Person
6. The Clock
7. Two Feet Off The Ground
8. Amok (Atoms For Peace)
9. Not The News
10. Truth Ray
11. Traffic
12. Twist
13. Pink Section
14. Nose Grows Some
15. Cymbal Rush
Zugabe
16. The Axe
17. Atoms For Peace
18. Default (Atoms For Peace)
19. Spectre
Text: Michael Bohli
Bilder: Anna Wirz