4. Februar 2020
Diverse Lokale – Baden
Bands: Douglas Dare / Magic Island / dj. flugvél og geimskip / Sun Cousto
Webseite: ooam.ch
How weird can you go? Show me, punk! Oder die unwahrscheinliche Geschichte, wie aus einer missmutigen Vorahnung ein Abend wurde, der die ganze Woche mit seiner positiven Energie beeinflusste. Oder: Wie das One Of A Million Festival erneut alle Vorurteile mit einer simplen Geste verpuffen liess. Was für ein grossartiger Dienstag das war, da vergassen nicht nur die Acts den exakten Wochentag.
Im Vornerein als mein Highlight des fünften Festivaltages betitelt, konnten Sun Cousto aus Lausanne die Erwartungen mehr als erfüllen. Das junge Duo, welches 2019 mit dem Album „Satan And I Walk Under A Rainbow“ die Verrücktheit in die Schweizer Lo-Fi-Szene brachte, legte zwar zahm los, steigerte sich aber alsbald in einen Wahn. Panzer Souchon und Ultrabalaste, so die Künstlerinnennamen, machten sich nichts aus sauberen Klängen und punktgenauen Anschlüssen, hier zählte die rohe Energie. Von verträumtem Singsange zu lautmalerischem Gekreische, rumpelndes Schlagzeug und krumme Gitarren.
Rasch landete man beim Proto-Punk, bei den zerzausten Haaren, bei den bösen Blicken. Das Beste: Hinter diesem verrückten Lärm und Getue war die Fröhlichkeit an erster Stelle. Die beiden Frauen hatten viel Spass an ihrem Auftritt, lachten oft und zeigten sich von einer sehr nahbaren Seite. Aber wehe dem, der dachte, die Dopamin- und Endorphinausschüttung hätte nun ihren Höhepunkt erreicht. dj. flugvél og geimskip übernahm das Museum Langmatt und brachte die isländische Andersartigkeit nach Baden.
Anders auf jeden Fall, nicht nur klanglich. Die Musikerin Steinunn Harðardóttir erschuf mit ihren Synthesizern und Gerätschaften neue Galaxien, zuckerte das Ganze mit Schellen und Glöckchen und überschwemmte die Anwesenden mit einer Flut an Lampen und Lichtern. Alles drehte sich zwischen roten und grünen Punkten, dahinter kunterbunt-schräge Visuals, „Happy-Spaceship-Music“ halt. Und weil der Gesang für uns unverständlich blieb, nebst den Mitsummmelodien, gab es vor jedem Song eine kurze Einführung.
Mit zauberhaftem Akzent wurden die Geschichten ferner Planeten und musikalischer Sklaven erläutert, um sogleich in einem Gewitter an Klängen und Beats aufgelöst zu werden. Obwohl dieser Auftritt fast nach einer Schockstarre flehte, konnte ich nicht anders, als grinsend zwischen den Rhythmen zu versinken und mit viel Bewegung die neuen Welten zu besuchen. Noch selten hat mich ein Konzert so glücklich gemacht, selten fühlte ich mich nach einem Auftritt so beschwingt. Überraschungen wie diese Zauberei von dj. flugvél og geimskip sind im erwachsenen Dasein rar.
Wäre Emma Czerny aus Kanada nicht eine gefestigte Persönlichkeit, hätte der Wechsel zum Auftritt von Magic Island im Hotel Blume wie ein harter Aufprall in die Realität gewirkt. So aber wurde der elektronische Pop zu einer emotionalen Erfahrung, die nach der eigenen Identitätssuchung verlangte, die Hemmungen abzustreifen vermochte. Spontan am Klavier zu Balladen wechselnd, dann mit Besucherinnen aus dem Publikum agierend – diese Darbietung war unglaublich menschlich und berührend.
Der rote Anzug und die schöne Inneneinrichtung des Jugendstilsaals versahen den RnB-Pop mit Twin-Peaks-Flair, beschworen die Liebe in aufrichtiger Weise. Niemals wirkte etwas plump oder zu erzwungen, der Kitsch blieb fern, die Entrücktheit nahm deren Stelle ein. Douglas Dare, der diesen fünften Festivaltag im Royal auf sanfte Singer-Songwriter-Weise abschloss, hatte es stärker mit der Romantik. Nicht ohne kritische Gedanken besang er sein eigenes Leben, die Liebe und den Schmerz am Klavier. Mit kräftiger Stimme und auch an der Gitarre, gegen Ende sogar unverstärkt im Publikum – da gab es keine Grenzen zwischen den Zeiten und Tagen mehr.
Text: Michael Bohli