24. November 2018
Halle 622 – Zürich
Bands: Nils Frahm
Lange Zeit war das Klavier das bestimmende Instrument bei Nils Frahm, im Kindesalter erlernt und auch in den Alben das Zentrum. Doch mit seiner Liveaufnahmen „Spaces“ erschloss der Musiker aus Hamburg weitere Bereiche, die auch tanzwütige Jugendliche begeistert. Elektronische Spuren, wuchtige Bässe, Clubmaterial – fein verwoben in der neoklassischen Herangehensweise an Struktur und Erscheinung. Und dann „All Melody„, die neuste Studioscheibe mit ihren betörenden Melodien und fesselnden Spannungskurven, aufgenommen in der Stadt des Nachtlebens, Berlin.
Logischerweise war die Halle 622 in Zürich Oerlikon an diesem Samstagabend mehr als gut gefüllt – denn nicht jeder konnte am Auftritt in Montreux dabei sein, und die Fanzahlen des Komponisten steigen mit jedem Tag. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr zeigte sich der Künstler in der Stadt und bewies innert weniger Minuten, dass nicht nur alle Altersklassen, sondern auch Liebhaber diverser Genres bei ihm auf ihre Kosten kommen. Die Musik von Nils Frahm ist voller Möglichkeiten der Interpretation, vielschichtig und vor allem ohne Hast. Lange werden Akkorde wiederholt, selten gibt es abrupte Wechsel – doch das gefällt.
Denn wenn man sich in simplen Melodienspielereien wie „The Whole Universe Wants to Be Touched“ verliert, mit geschlossenen Augen zu den Harmonien schwankt und sich plötzlich inmitten von akzentuierten und druckvollen Basslinien wiederfindet – dann ist das magisch. Als ob man bereits bei der Hardbrücke ausgestiegen wäre, als ob sich alte Meister mit neuen Möglichkeiten vertraut gemacht hätten. Nils Frahm hat keine Angst vor Traditionen, er mischte die Töne seiner selbst gebauten Pfeifenorgel mit dem Moog Taurus, spielte darüber auf dem Flügel eine weitere Idee ein und garnierte alles mit dem Roland Juno.
„All Melody“ wurde zum bewegenden Highlight, „Ode“ hatte den mehr als passenden Namen. Alles erstrahlte unter der minimalen, aber sehr wirkungsvollen Lichtshow. Einzelne Scheinwerfer tauchten die Instrumente in warmes Licht, Stroboeffekte vermengten sich mit den Beats. Und dann die grosse Überraschung: Nils Frahm ist eine Plaudertausche. Er nutzte die Pausen nicht nur dazu, alle technischen Hilfsmittel vorzubereiten, er überschwemmte die Zuschauer schier mit seinen Ansprachen. Persönliche Gedanken, technische Hinweise und eine Erklärung zu seinem grössten Hit „Says“ – alles ergänzte das wundervolle Konzert mit Informationen und Humor.
So hätte es die Zugabe gar nicht mehr gebraucht, so hätte auch „Says“ nach dieser Erklärung nicht mehr gespielt werden müssen. Aber doch, der Mann hat einen Plan, er hat eine Vision – und das zeigte sich auch in Zürich. Filigran und polternd, von extrem leisen Stellen bis wahnwitzigen Ausbrüchen. Nicht nur führte er die klassische Musik an diesem Abend weiter, der bewies auch gleich, dass Ambient und Techno sehr wohl in reduzierten und organischen Weisen bezirzen können.
Text: Michael Bohli