26. Juni 2019
Südpol – Luzern
Bands: Julia Holter / Lakiko
Du hörst die Amsel auf dem Dach ihr Lied zwitschern, während um dich herum das Stimmengewirr erklingt – eine Melodie im Brummen, dazwischen einzelne Laute von der Umgebung. Ist dies Musik? Wie umfassend kann dieser Begriff angewandt werden? Fragen, welche mit den Konzerten von Lakiko und Julia Holter am Mittwochabend im Südpol in Kriens ergründet wurden, auf filigrane und wundervolle Weise. Während sich in der Umgebung die Leute um die besten Schattenplätze stritten, durfte man im Kellerraum die Coolness aus Los Angeles erspüren.
Zwischen Avantgarde, Art-Pop und Jazz sind die Lieder der amerikanischen Musikerin Julia Holter angesiedelt. Mit ihrem neusten Album „Aviary“ hat sie das bisher zelebrierte Songformat fragmentarisch aufgesprengt und eine andere Sicht auf die Kunst der Musik offenbart. Das ist nicht immer einfach, bewies am Konzert aber die unglaubliche Wirkung der Schönheit. Betörend, mitreissend und alles umfassend – die Darbietung offenbarte sich als Erlebnis von Perfektion, ein Höhepunkt im Leben eines jeden Musikliebhabers. Mit genügend Standhaftigkeit, denn bereits der erste Song „Underneath the Moon“ forderte mit Dissonanz, Lücken und Andeutungen.
Dank diesem Wirbel aus Synthesizer, Geige, Trompete, Bass und Perkussion, schälten sich immerzu neue Melodien und Möglichkeiten aus den Liedern, die Band zeigte sich nicht nur eingespielt, sondern auf ihrem Zenit. Und dann der Gesang von Julia Holter, erzählerisch, emotional und verspielt, Lieder wie „Words I Heard“ oder „Sea Calls Me Home“ wurden zu nötigen Umarmungen, zu Wundpflaster und klanglichen Amphetaminen. Dazu Rasseln, Dudelsack, kecke Blicke und eine Frau Holter, die sich gelassen und zu Witzen aufgelegt zeigte. Ob Hitze und Wein zu der munteren Art geführt haben, oder die angenehme Stimmung, welche im Südpol herrschte – egal.
Denn wer solch grossartige Kompositionen wie „I Shall Love 2“ mit diesem Gewicht und dieser Opulenz an einem Sommerabend mit natürlicher Lockerheit auf die Bühne bringt, der hat jedes Lob und Staunen verdient. Dank der Zugabe gleich mit der Schwester „I Shall Love 1“ ergänzt, wurde der Abend mit Julia Holter und ihrer Band bezirzend beendet. „Betsy on the Roof“ als Coda, die Amsel besuchend und zugleich die Einladung, eigene Geschichten und soeben gefühltes mit den Musikerinnen und Musikern vor der Bar zu tauschen.
Formen und Erzählungen brachte auch Lakiko aus Sarajevo, jetzt in Bern lebend, in den Raum. Die Künstlerin verwandelte einzelne Arrangements auf dem Cello zu blühenden Feldern, wendete Loops geschickt mit den Zehen gesteuert an, und bezog auf interessante Weise die Umgebung in ihre Lieder mit ein. Lang und langsam, kurz und wild – was bei Fatima Dunn die neu entdeckten Wurzeln der Tradition waren, das ist für Lakiko die Suche nach Ausdrucksformen und das Erforschen der möglichen Grenzen im Musikschaffen. Ein Ansatz, der für den gesamten Abend Wonne und Glück brachte.
Setlist
1. Underneath the Moon
2. Whether
3. Silhouette
4. Voce Simul
5. Les Jeux to You
6. Words I Heard
7. Feel You
8. Chaitius
9. Sea Calls Me Home
10. I Shall Love 2
Zugabe
11. I Shall Love 1
12. Betsy on the Roof
Text: Michael Bohli