18.+19. Oktober 2019
Dynamo – Zürich
Webseite: bergmal.ch
Bilder vom:
Freitag 18. Oktober 2019
Samstag 19. Oktober 2019
Sind es wirklich erst drei Jahre seit dem ersten bergmal Festival in Zürich? Unglaublich, denn der Anlass hat sich in dieser kurzen Zeit so stark in der Szene der experimentellen Rockmusik verankert, dass der heimische Konzertherbst ohne die Party mit dem Walfisch leer wirken würde. Für die vierte Ausgabe hiess dies nicht nur, dass man den Vorabend am Freitag erneut mit vier Bands bespielte, sondern ein erneut grossartiges Line-Up zusammenstellte und bei praktisch ausverkauftem Hause die Musik geniessen konnte. Entgegen allen Forschungen ist nun klar: Wale sind Perlentaucher. Das wird im Dynamo jährlich bewiesen.
Freitag
Bands: monkey3 / Telepathy / Forlet Sires / Krane
Wenn drei von vier Bands an einem Abend aus der Schweiz stammen und den Post-Rock so unterschiedlich bespielen, dann ist klar, dass die Aufgabe des bergmals, nationale und internationale Gruppen zusammenzuführen, mehr als aufging. Krane aus Basel haben sich nicht zuletzt mit ihrem Album „Pleonexia“ einen guten Ruf im Post-Metal erarbeitet. Sie eröffneten den Abend mit lauten Gitarren, harten Rhythmen und einer martialen, instrumentalen Weise. Gute Lichtuntermalung und ein Set, das sich mit jedem langen Song steigerte.
Da liess sich Winterthur nicht lange bitten und vergrösserte Intensität, Wucht und Energie mit Post-Black-Metal. Forlet Sires stürzten sich von der ersten Rückkopplung an in einen Auftritt voller genialer Gitarrenpassagen, lauten Growls und harten Doublebasses. Songwriting von höchster Qualität mit vielen Überraschungen, brutalen Angriffen und nötigem Noise.
Wie ein Unwetter überfuhren anschliessend Telepathy das Publikum mit ihrem Post-Metal. Dieser kam allerdings weniger klassisch-atmosphärisch, sondern oft sludgig und doomig daher; bleierne Riffs und Rhythmuswechsel legten sich dem Publikum gnadenlos auf die Ohren. Noch nicht ganz ausgereift wirkte die Mischung, aber auf jeden Fall spannend.
Den Abschluss des ersten bergmal-Abends machten die Lausanner von monkey3, die dieses Jahr ihr neues Album „Sphere“ veröffentlicht haben; damit setzen sie ihre Reise durch Space-, Psychedelic- und Stoner-Rock fort. Heute durften die Zuhörer aber auch ein paar ältere Perlen geniessen und die Haare zu gepflogenem, stampfendem Stoner-Rock mit einer Prise wabernden Synthies schütteln. Vorfreude auf den Samstag war damit jedenfalls garantiert.
Samstag
Bands: Emma Ruth Rundle / Tides From Nebula / Esben And The Witch / Nadja / Tides Of Man / Some Became Hollow Tubes / Spurv / Echolot / E-L-R / Kolours / Shipwrecks / Holm / A Burial At Sea
Die Regelbrecher
Vorsicht, Headbanger und Extremtänzer: A Burial At Sea kann eure Gesundheit gefährden. Schwelgt ihr zu unbeschwert in den regenbogenfarbigen, an Mogwai erinnernden Zwischenteilen, könntet ihr euch eine Bandscheibe quetschen, wenn dann die beiden Gitarren, Bass und Drums unisono perfekt getimed reinhauen. Die Drums geben hochkomplexe Rhythmen vor, der Rest der Band treibt sie zur Spitze. Das Rückgrat und der verhältnismässig ruhige Pol der vier jungen Männer aus Liverpool ist der Bassist. Ein Vergnügen trotz Scheidungsgrund: Die Trompete. Aber vermutlich ist das so in einer guten Ehe. Wenn neunzig Prozent grossartig sind, liebt man bald auch die übrigen zehn.
Zwischen langen Haaren und Schnauzbärten fand man die Gesichter, überlagert von den psychedelischen Farben der Projektionen. Nicken, Ausfallschritt, erhobener Gitarrenhals – aber eigentlich blieben Echolot aus Basel mit ihren tief gestimmten Songs immer auf Bodenhöhe der Experimental Stage. Psychedelischer Stoner Rock, leicht doomig und freaky – dazu wunderschönes Merch wie das Album „Volva„, passt sehr.
Komplett improvisiert war der Auftritt von Some Became Hollow Tubes. Gitarrist Eric Quach (thisquietarmy) und Schlagzeuger Aidan Girt (Godspeed You! Black Emperor) haben sich zu einem Drone-Rock-Duo addiert, das die repetitiven Rhythmen, endlose Verzerrungen mit Effektgeräten und dröhnende Gitarrenflächen zelebriert. Stampfende Drums vermengten sich mit hypnotisierenden Soundflächen, die Musik ein einziger Protest gegen die Welt – die Prädikate «düster» und «apokalytisch» treffen es wohl ganz gut, was hier auf der Experimental Stage passierte.
Nicht wenige Augen waren nach Mitternacht zu Schlitzen verengt, nicht wenige Haare in wilder Neuformation – doch im Keller gab es den benötigten Weckruf: Tides Of Man hatten gemeinsam mit Tides From Nebula die Alpen bezwungen und bretterten voller Kraft zum „Mountain House“. Experimente in der Kaskade, abrupt beim Songende – eine Dusche der Erfrischung, mit Tourpremieren und proggy Ausführungen.
Die Bodenständigen
Schlagzeuger Alessandro Giannelli hat sich hochgearbeitet, 2018 mit Egopusher noch in der Mitte des Dynamos, jetzt mit Holm als erste Band auf der Roof Stage. Zwischen warmen Lichtern und einzelnen Blitzen die krautig-meditativen Kompositionen des Trios aus Zürich, beherrscht von dem druckvollen Bass und den immerwährenden Rhythmen. „Through Windows“ heisst die EP, durch unsere Seelen blickte dieses Konzert.
Vor vier Jahren traf man sich noch auf anderen journalistischen Plattformen, jetzt begrüssten wir Shipwrecks aus Deutschland im Keller in Zürich. Ganz klar typischer Post-Rock, mit Tremologitarren, wallenden Kompositionen und sich anschmiegenden Gitarren. Da fühlte man sich erhaben, verträumt und leicht bedroht zugleich, tanzte neben dem Rumpelstilzchen und genoss den Moment, der die eigentliche Genrebezeichnung an diesem Festival klar verdient hatte.
Dicht gedrängt auf der kleinen Experimental Stage standen die fünf Musiker von Kolours aus St. Gallen – so dicht, dass man Angst hatte, sie würden sich gleich gegenseitig die Gitarren um die Ohren hauen. Wenn man aber die Augen schloss, liess es sich in ihrem klassischen, verträumten Post-Rock ganz wunderbar versinken. Eine kurze Ruhepause vor den nächsten Stürmen, die noch folgen sollten.
Ein Highlight am diesjährigen bergmal Festival waren die Polen Tides From Nebula, die derzeit mit ihrem neuen Album „From Voodoo To Zen“ unterwegs sind. Obwohl auch sie gerne den flächigen, atmosphärischen Post-Rock zelebrieren, stechen sie mit ihren vielen elektronischen Elementen und den verhältnismässig kurzen, knackigen Songs aus der Masse hervor. Zu fast schon discomässigen Krachern wie «Dopamine» liess es sich auch hervorragend tanzen. Die Musiker gaben sich nach längerer Tourabstinenz sehr herzlich und hatten sichtlich Freude, hier sein zu dürfen; eine erfrischend abwechslungsreiche Show!
Im Keller war es immer wieder sehr eng, bei Spurv aus Norwegen fühlte sich der Platz noch knapper bemessen an. Zwischen all den wogenden Leibern versuchte man einen Blick auf die Bühne zu erhaschen und sah auch dort fast zu viele Personen und Instrumente für die Cellar Stage. Posaune und die immerwährende Klangwand, gnadenlos, wunderschön und fast gottesfürchtig in der Melodiensuche. Die Band erschien wie eine Naturgewalt und liess alles in den Rückkopplungen versinken.
Die Schattenzauberer
Direkt aus den Untiefen verwunschener Wälder kamen Esben And The Witch nach Zürich. Ihre Mischung aus düsterem Rock, Gothic und elektronischen Elementen war zugleich voller Dunkelheit und voller Schönheit; stille Momente und wilde, lärmende Ausbrüche gingen fliessend ineinander über. Über allem schwebte märchenhaft die wunderbare Stimme von Sängerin Rachel Davies. «Nightmare Pop» trifft die Essenz dieses Gemischs ganz hervorragend.
Inzwischen definitiv kein Hereinkommen mehr gab es bei E-L-R, zu voll war der kleine Raum der Cellar Stage bereits. Hypnotisch, laut und dronig klang der atmosphärische Metal allerdings bis in den Flur hinaus. Einen Blick auf die mit Blumen, Kerzen und Weihrauch geschmückte Bühne hätten wir dennoch gerne geworfen.
Wenn es bei der diesjährigen Ausgabe des bergmal Festivals einen Kritikpunkt gibt, dann ist dies die Übermacht der Männer auf den Bühnen. Mit Emma Ruth Rundle wurde der Wunsch nach Weiblichkeit dafür umso ergreifender eingelöst. Die Künstlerin liess das Publikum zusammen mit ihrer Band in die Welt von „On Dark Horses“ eintauchen, ein goldenes Gefühl wie das Licht. Emotional und menschlich, am Ende gar ohne Begleitung und Handyaufnahmen. Dieses Konzert griff nach der Ewigkeit, pflanzte uns Liebe ein und krönte den Abend. Da vergass man schnell wieder, dass der Gesang manchmal etwas zu stark im Hintergrund war; die Dame ist eine Offenbarung.
Den Abschluss des Festivals machte für uns das Drone-Doom-Duo Nadja. Tonnenschwer und mächtig legte sich die Musik auf unsere Ohren, die keinen Moment der Erholung zuliess. Immer wieder flossen Stilelemente aus Shoegaze und Ambient in den krachenden Noise ein, die dem Sound eine spezielle Atmosphäre verliehen; insgesamt wurde an diesem Konzert aber noch der letzte Gehörschutz gesprengt. Leichtes Ohrensummen beim Verlassen des Dynamos garantiert.
Was bleibt also, nach all den bezwungenen Treppenstufen, den getrunkenen Bieren, den Lachern und Diskussionen? Erinnerungen an ein experimentelles Rock-Festival, das sich während zwei Tagen erneut in all unsere Herzen gebrannt hat. Mit vielen tollen Bands, noch besserer Organisation und dem hübschen Walfisch – Zürich hat selten so viele Saiten zum Schwingen gebracht wie beim bergmal und wir können nur sagen: An eurer Seite schwimmen wir ewig.
Text: Cornelia Hüsser, Nicole Müller und Michael Bohli
Bilder: Anna Wirz und Philipp Reinhard