2. – 4. Juni 2017
Bad Bonn – Düdingen
Webseite: Bad Bonn Kilbi
Eine Überraschung ist es jedes Mal, wenn man den ersten Blick auf das Programm der Bad Bonn Kilbi wirft. Was? Wer? Und kaum hält man den ausgedruckten Festivalpass nach zittrigen Minuten des Reload-Button-Drückens in den Händen, fragt man sich: War es die Aufregung wert? Die Antwort ist jedes Jahr dieselbe: Auf jeden Fall!
Doch was fängt man nun mit der Auflistung all der Namen, von denen man noch nie gehört hat, an? Da gibt es die, die sich in den gut zwei Monaten bis zum Festivalstart vorbereiten und reinhören und sich eine Liste der Acts machen, die sie sehen möchten. Und dann gibt es andere, zu denen ich mich zähle, die sich bis auf wenige Ausnahmen einfach entzücken, überraschen und auch ein ganz klein wenig überfordern lassen.
57 Bands und Künstler, das bringt ganz schön an den Anschlag. Man will hier, da und dort sein, am liebsten überall gleichzeitig. Und am Ende eines langen Musiktages steht man da: Was hab ich jetzt alles gesehen? So gesehen, liebe Musiker: An dieser Stelle eine Entschuldigung an alle, die ich hier nicht direkt erwähne. Mehr ging einfach nicht, aber ich werde euch weder aus den Augen noch aus den Ohren lassen.
Der Freitagnachmittag begann mit DJ Three:Four im Haus äusserst gemächlich, manchmal entfernt erinnernd an mittelalterliche Töne. Eine Anspielung auf das Kilbi-Plakat-Design? Die Jungs von Yak bretterten mit dröhnenden Bässen und kreischenden Gittaren los. Das Einlaufritual vom Backstage zum Kilbi-Kuppel-Raketen-Ei-Kokon-Kunst-Dings und zurück von Idris Ackamoor & the Pyramids endete in einer Afro-Jazz-Party. Die Dubai Sprinters sprinteten irgendwo zwischen alten Motorrädern, Smartphones, Indien und dem nahen Osten um Klang(hemi)sphären herum. Der Groove von Flaming Gods liess die Knie wippen, bei UFO Feat. Dim Grimm pochten die Beats zu Synthklängen. Wie stellt man sich ein japanisches Frauenduo vor, das sich nur mit Gitarre, Schlagzeug und Stimme bewaffnet dem Noise-Punk-Rock hingibt? Genau so wie Afrirampo. Düster, ja gar dunkel und traurig gab sich Angel Olsen.
Während Puce Mary den Geräuschen frönten, hüpfte N.M.O. vor leerer Bühne mitten im Publikum zu schepperndem Schlagzeug auf und ab. Langsamer als bei Sleep geht Metal wohl kaum. Aber wenigstens den Körper bei gemächlicherem Tempo ein wenig ruhen lassen zu können und nur mit dem Kopf zu wippen, tat durchaus Not. Den Ohren wurde dies nicht gegönnt, sie kriegten die volle Ladung Gitarrensound ab. Lord Kesseli And The Drums schloss sich den schweren Gitarren in der Kantine in seiner unvergleichlichen Weise direkt an, aber das weihrauchverhangene Zelt strapazierte den Geruchssinn zu so später Stunde dann doch arg.
Genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort war Jacques. Fadengerade Attacke mit elektronischer Musik, die aus Gitarre, Absperrgittern und allerlei Gegenständen live entstand. Besser geht Tanzen bis zur Ekstase nicht, entsprechend wurde Jacques vom Kilbivolk nur mit grossem Protest von der Bühne gelassen. Ein grossartiges Bild, das sich bot und sich eigentlich gar nicht beschreiben lässt. Und wer seine Energie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verpulvert hatte, dem bot Lena Willikens bis zum Sonnenaufgang noch genügend Gelegenheit, dies zu fadengeradem, hartem Industrial zu tun. All night long.
Erholt nach einer Dusche, einem erfrischenden Bad im Schiffenensee oder einfach nach einer Mütze voll Schlaf startete Tag zwei. Und wie: Kokoko! Was für ein Spektakel für Auge und Ohr. Selbstgebaute Instrumente, eine Schreibmaschine auf der Bühne, die einen Beat vorgibt. Einfache Elektronik, kreischende Mikrofone und afrikanische Chorgesänge. Gefolgt von einer grossartigen Gitarrenband, die ziemlich englisch klang und die grosse Bühne so richtig rockte: Ultimate Painting! Mehr davon.
Xylouris malträtierte die Laute wie kein zweiter und White streichelte virtuos sein Schlagzeug. Wie gerne hätte ich die Mandolin Sisters gesehen und ihren Klängen gelauscht, aber das Haus war einfach zu klein für die drängende Meute.
Hell yes, Progrock. Oder Experimental-Punk-Avantgarde-Noise-Rock. Oder was auch immer: This Is Not This Heat sprengten den Zuhörern die letzten Synapsen, welche noch halbwegs aufnahmefähig waren, aus dem Kopf.
Die japanischen OOIOO überraschten, sie waren denn auch viel weniger ungestüm und radikal als erwartet. Ein sehr unterhaltsamer Gig, schwer fassbar und doch extrem mitreissend – was man von Princess Nokia nicht sagen konnte. Musik ab Konserve, der Gesang grösstenteils ebenso, nur um Wortfetzen von ihr eingeworfen zu bekommen … Das war wohl falsche Ort für ihre wütenden Ansagen.
Was für eine Wohltat dagegen, was Moonlandingz boten. Unberechenbarer, interplanetarer, kosmischer Psych-Synth-Rock. Und genau eine dieser grossartigen Überraschungen, wegen derer man an die Bad Bonn Kilbi pilgert. Grossartig!
Oliver Coates, mit Cello und Laptop bewaffnet, führte in nette und tanzbare Trancewelten, die jedoch – genau so wie die Visuals – nicht abschliessend waren. Schade eigentlich, denn solche Musik mit dem Cello zu machen, verdient viel Respekt. Ganz und gar anders dann der Abschluss von Dengue Dengue Dengue: Offbeatiger, tiefbassiger Ethnotechno, mit grossartigen Visuals hinterlegt. Genau so muss es sein. Wieder ging ein Tag zu Ende, und DJ Marcelle nahm jeden, der wollte, noch mit zu Tanzbären in andere Sphären. Gab es eigentlich mal eine Kilbi ohne sie? Ist doch kaum vorstellbar, oder?
Schliesslich ging es, ein ganz klein wenig angeschlagen, auf zum dritten und letzten Tag. Show me the Body eröffneten und dann musste man sich entscheiden: One Sentence. Supervisor auf der Hauptbühne oder Autisti im Haus. Nicht ganz einfach, denn beide Schweizer Bands sind grossartig und zurzeit ganz hoch im Kurs. Es tut mir wirklich leid, ihr Jungs aus Baden, ich komme liebend gerne auf euch zurück. Autisti an der Kilbi musste einfach sein, auch wenn die wohltuende Dusche etwas mehr als eine Stunde vor dem Konzert schon nach zwei Minuten für den Eimer war. Vielleicht war es der gerade und ungeschnörkelte Gitarrensound, den man sich bis zu diesem Zeitpunkt noch etwas mehr wünschte an der Bad Bonn Kilbi. Aber davon gab es später zum Glück doch noch genug.
Nach dem verregneten Samstag gab es keinen besseren Ort, um dem Sommer mit nackten Füssen im Sand stehend zu huldigen, als den Strand mit Phil Hayes And The Trees. Mitski wärmten mit ihrem Stromgitarrenpop noch mal richtig auf, bevor mit Schnellertollermeier auch die letzten nassen Füsse vom Vortag trockneten. Arhythmik, Gitarren, Jazz oder was genau? Kaitlyn Aurelia Smith schuf eine willkommene Oase, eine kleine Verschnaufpause bei analogen Moog-Klängen und sanftem Gesang. Unglaublich wohltuend, genauso wie Jessy Lanza, die das Haus, trotz absoluter Überfüllung, mit ihren elektronischen Meisterwerken in eine chillige Oase verwandelte.
Und dann: King Gizzard And The Lizard Wizard mit ihrem 70er-Hippie-Psych-Noise-Rock, getrieben von lauten, verzerrten Stromgitarren und zwei Schlagzeugen – wieder eine dieser Offenbarungen für die Festivalbesucher und tanzwütigen Musikfetischisten, die es nur hier gibt. Genau solche Acts machen die Kilbi aus. Gemischte Klänge des mittleren und ferneren Ostens, gepaart mit elektronischen Obskuritäten: Khidja erfüllten schliesslich die Sehnsucht nach einem groovenden Abschluss, bevor man zum Austurnen noch zu DJ Fett ins Haus wechseln konnte.
Auch Ausgabe Nummer 26 der Bad Bonn Kilbi war einmal mehr genau richtig. Es gibt kaum ein überraschenderes Festival als die Bad Bonn Kilbi. Es gibt kaum ein aufregenderes Festival als die Bad Bonn Kilbi. Es gibt kaum ein durchmischteres Festival als die Bad Bonn Kilbi. Es gibt kaum ein bunteres Festival als die Bad Bonn Kilbi. Es gibt kaum ein Festival, auf das die Vorfreude so gross ist wie auf die Bad Bonn Kilbi. Es gibt kaum ein friedlicheres Festival als die Bad Bonn Kilbi. Es gibt kaum ein anstrengenderes Festival als die Bad Bonn Kilbi. Es gibt kaum entspannteres Festival die Bad Bonn Kilbi. Es gibt kein Festival wie die Bad Bonn Kilbi. Und es gehört genau so!
Bands: Idris Ackamoor & The Pyramids / Flamingods / Angel Olsen / Sleep / Jacques / Yak / Dubai Sprinters / Afrirampo / N.M.O / Lord Kesseli And The Drums / DJ Three:Four / Norberto Lobo / UFO Feat. Dim Grimm / Puce Mary / H E X / Pure Mania / Lena Willikens / Radio Kilbi / Ultimate Painting / Xylouris White / OOIOO / The Moonlandingz / Dengue Dengue Dengue! / Kokoko! / Nahawa Doumbia / This Is Not This Heat / Princess Nokia / Oliver Coates / Galopp / Pill / Mandolin Sisters / Böse Wicht And His Böse Monsters / Moody / Not Waving / DJ Marcelle / Allandy Shanty / Julian Sartorius / One Sentence. Supervisor / Mitski / Schnellertollermeier / Anna Meredith / King Gizzard And The Lizard Wizard / Khidja / Show Me The Body / Mdou Moctar / Weyes Blood / White Wine / Gaika / Pandour / Autisti / Infinite Bisous / Kaitlyn Aurelia Smith / Saaleek / Jessy Lanza / Jlin / DJ Fett / Phil Hayes And The Trees
Text: Mischa Castiglioni
Bilder: Alain Schenk