8. Juni 2019
Helsinki – Zürich
Band: Stahlberger
Ob der Prime Tower denn schon davongeflogen sei, fragte Manuel Stahlberger in der Mitte des Konzertes, oder wieso vom Balkon gegenüber der Bühne immer wieder Videos gemacht würden. Dass er und seine Band an diesem Abend auf dem Platz vor dem Helsinki Club in Zürich zwischen Holzträger und Schlingpflanzen besonders hübsch aussahen, das verschwieg er wohlwissend – denn das Konzert, welches vor dunkel werdendem Himmel und ausverkauftem Publikum stattfand, das wurde auch so von allen mehr als genossen. Der Künstler aus St. Gallen besuchte endlich wieder die Stadt an der Limmat und sorgte dafür, dass man „Dini zwei Wänd“ an der frischen Luft geniessen konnte.
Gegenüber der Albumtaufe im April in der Ostschweiz zeigten sich Stahlberger und seine Mannen eingespielt und gefestigt, auch wenn „Rägebogesiedlig“ von einem textlichen Blackout begleitet wurde. Davon liessen sich die Anwesenden den Abend aber nicht vermiesen, Marcel Gschwend bewegte sich dafür umso wilder über die Bühne. Ob mit Bass oder nicht, alleine als Bit-Tuner unterwegs, hier ein wichtiger Festpunkt im elektronisch verstärkten Sound der Gruppe. Ob das reduzierte „Wieder i de Schuel“, das beschwörerische „Ueber Nacht isch en Sturm cho“ oder das Highlight „Chline Fisch“ – die Sequenzer und Synthesizer übernahmen die Vormachtstellung.
Düster und von weissen Lichtblitzen begleitet versanken Stahlberger immer wieder in den Beats und den Melodien, sorgten damit für Wucht und Dringlichkeit, und die geschickte Ergänzung zu dem lakonischen Gesang des Frontmannes. Seine Worte, ob nun besser oder schlechter als die Musik und Geschichte, setzen prägnante Fixpunkte und boten eine clevere Betrachtung der heutigen Lebensweise in der Schweiz. Erstaunlich oft mit räumlichen Koordinaten ausgestattet, wurde hier die Doppelmoral entlarvt, das Kleinbürgertum mit dem Orkan zerrupft und falsche Ideale im Keller eingesperrt.
Ja, Stahlberger weiss genau, wie man die Schweiz unterschwellig den Spiegel vorhalten kann – ob mit Clubbeats („Velochlauer“) oder all zu aktuellen politischen Aussagen („Klimawandel“) – so lässt man sich gerne bei den falschen Gedanken ertappen. So wurden die anfänglichen Stolpersteine im Klangbild immer besser umschifft, bis die Band bei den zahlreichen Zugaben zu Höchstleistungen auffuhr. Laute Gitarren, tolle Rhythmen vom Schlagzeug, immer wieder wechselnde Positionen – Stahlberger zeigten sich klar erstarkt. Nicht einmal der thronende Schatten des Turmes voller Reichtum und Glas wirkte da noch bedrohlich, sondern einsam und falsch gewichtet.
Ewige Gänge und einengende Zimmer begegnen einem immer wieder im Schaffen von Manuel Stahlberger, aber mit seinen Sätzen und den dazugehörigen Sounds wird auch eine unendliche Wanderschaft durch die aussichtslosen Korridore des Lebens zu einem aushaltbaren Zustand. Schlussendlich geht es uns allen immer noch viel zu gut für eine endlose Misere.
Setlist
1. Chline Kreis
2. Munzigi Teili
3. Wieder i de Schuel
4. Rägebogesiedlig
5. Bis i di find
6. Heimat
7. Schäbikon
8. Stadtyeti
9. De grööscht Maa
10. Iisfäld
11. Tanze
12. Immer wieder use
13. Mission Of Love
14. Chline Fisch
15. Velochlauer
16. Rundume Rand
17. Über Nacht isch en Sturm cho
Zugabe
18. Du verwachsch wieder nume i dinere Wonig
19. Abghenkt
20. Klimawandel
21. Wenn d Welt undergoht
Text: Michael Bohli