5. September 2017
Im Gespräch mit: Flavian Graber, Sänger und Gitarrist von We Invented Paris
Mit ihrem neusten Werk „Catastrophe“ hat das Kollektiv um We Invented Paris nicht nur ein wunderbares Album voller Synthie Pop vorgelegt, sondern spricht in den Hymnen auch wichtige und aktuelle Themen an. Dabei wird ihre Musik weit über die Stadtgrenzen von Basel hinaus getragen und sorgt für viele tanzende Füsse. Wir haben die Gunst der Stunde genutzt, um mit dem Frontmann der Band zu sprechen.
Michael: „Catastrophe“, so heisst das neue Album von We Invented Paris, ist aber das Gegenteil. Warum wurde genau dieser Songtitel als Name für das Album gewählt? „Kaleidoscope“ träfe den vielfältigen Stil doch eher.
Flavian: „Catastrophe“ trifft inhaltlich die Kernbotschaft des Albums für uns am besten. Wir sind alle Teil der momentanen Katastrophe und doch spielt jeder in seinem Leben eine zentrale Rolle – und hat somit auch die Möglichkeit etwas zu bewegen.
Hinter den neuen und packenden Synthie-Pop-Songs stecken grosse Botschaften. Ist die Welt mit Musik noch zu retten (oder zumindest zum Nachdenken zu bringen), oder ist dies eher der persönliche Hilfeschrei?
Ich glaube nicht, dass Musik die Welt verändern kann. Aber ich glaube, dass Musik Menschen zum Nachdenken und Fragen stellen bewegen kann, welche dann die Welt, oder zumindest ihre direkte Umwelt verändern.
Hast du denn einen Geheimtipp, wie man solch grossartige Hits wie „Fuss“ schreiben kann? Dir scheint dies ja sehr einfach zu fallen.
Danke fürs Kompliment! Wir hatten über 70 Songs geschrieben für dieses Album, so viel wie noch nie zuvor. Und es hat da einige darunter, die du nicht hören willst. Gleichzeitig hatten wir so viel Spass wie noch nie zuvor beim Schreiben und im Studio, was sich für mich in solchen Songs wie „Fuss“ auch wiederspiegelt.
Das Album ist nicht nur nachdenklich und düster, sondern auch treibend und eingängig. Woher holst du dir die Inspiration für solch unterschiedliche Songs?
Nichts finde ich langweiliger, als wenn man nach drei Songs das ganze Album gehört hat. Ich mag die Abwechslung und suche diese immer wieder bewusst. Oft versetze ich mich auch in Situationen oder Erlebnisse von Freunden oder beobachte meine Umgebung, wenn ich unterwegs bin.
Apropos Stilmix: „Looking Back“ erinnert stark an Retrowave. Liegt die Zukunft des elektronischen Pop in der Vergangenheit?
Ich glaube, wenn man sich musikalisch weiterentwickeln will, holt man automatisch etwas aus der Vergangenheit und der Musikgeschichte und macht es sich zu eigen. Damit versucht man, etwas Neues zu kreieren. Oft sind diese Instrumente oder Stilmittel auch solche, welche in der kürzeren Vergangenheit völlige Tabus waren. Genau das ist das Aufregende, Herausfordernde und somit Frische an diesen Elementen.
Ist es etwas Einfaches, die vielschichtig produzierte Musik auf die simplere Ebene von Konzerten herunterzubrechen?
Wir versuchen die Songs live so zu reduzieren, dass wir sie wirklich spielen können, der Charakter des Songs aber trotzdem voll rüberkommt. Live erleben wir Musik oft anders als ab Konserve, aber genau das macht ein Livekonzert schliesslich zum einmaligen Erlebnis: Wenn die Lieder nicht exakt gleich klingen wie die Aufnahmen.
Gitarre oder Synthie – wer hat mehr Macht?
Jeder hat seine Zeit und seinen Moment. Momentan ist die Keytar an der Macht.
Nicht nur im Video zu „Kaleidoscope“, sondern auch bei den Live-Auftritten dient ein alter Röhrenfernseher als Kopfbedeckung. Welche Bedeutung trägt dieser Gegenstand bei euch?
Einerseits symbolisiert er den Retro-Sound und andererseits steht er auch für die Katastrophe. Oder eben dafür, wie wir Katastrophen durch die Medien erleben, ihnen begegnen und dabei immer die Distanz des – unmöglich neutralen – Beobachters innerhalten.
Andere Kunst-Kollektive oder Bands treten live gerne in Uniformen auf – von Devo bis hin zu Archive. Wäre das auch etwas für euch, als Ergänzung zum Kopfschmuck?
Bis jetzt mochten wir es eigentlich, die Vielfalt und Individualität im Kollektiv zu zeigen, in dem jeder seinen eigenen Stil trägt.
Wenn wir schon von Konzerten sprechen: Am Open Air Basel hattet ihr ein zusätzliches Bandmitglied am Start, den Barkeeper. Sind solche Gimmicks bald nötig, um die Menschen überhaupt noch dazu zu bringen, für Live-Musik Geld auszugeben?
Nein, die Cocktail-Bar war einfach Teil der Show und des Disko-Bling Blings. Aber ich denke schon, dass viele Menschen die Qualität von Live-Musik gar nicht mehr kennen und schätzen. Viele gehen zum Beispiel auf Open Airs, um Party zu machen, nicht um wirklich Bands zu hören.
Basel liegt am Dreiländereck, hilft euch das? Ein Kunstkollektiv wie We Invented Paris braucht ja eher viel Platz.
Ich mag die für Schweizer Verhältnisse relative grosse Weltoffenheit in Basel. Auch, dass Leute wie Ernst Beyeler sich getraut hatten, in Basel zu bleiben und etwas von internationaler Bedeutung aufzubauen.
Hast du schon Pläne, wie du die Zeit nach der WIP Catastrophe-Disco-Bar-Box-Tour verbringen wirst?
Jetzt kommt erstmal die „Tour de Catastrophe“. Wieder ein komplizierter, Name ich weiss. Diese startet im Oktober und wir werden mit der gesamten Band touren. Und dann werde ich schauen, wohin die Reise geht, was sich aufregend anfühlt.
Dann viel Erfolg und besten Dank für deine Zeit.
Danke dir!
Interview: Michael Bohli