Rotpunktverlag / ISBN: 978-3-85869-964-0
Fotos: Florian Bachmann und Tatjana Rüegsegger
Text: Michael Bohli
Ganz klar: Das Sachbuch «Es hilft, dass ich Leute anschreien darf» von Bettina Dyttrich ist eines der besten Bücher zur kontemporären Musikszene, das in der Schweiz existiert. Eine Sammlung von Gesprächen mit aktuellen Künstler:innen und Formationen, die nicht bloss das klangliche Arbeiten betreffen, sondern die soziokulturelle Situation im Land untersuchen. Das klingt als Beschrieb etwas trocken, entfaltet bei der Lektüre allerdings viel Zauber.
Nicht nur macht es Freude, sich mit Gruppen auseinanderzusetzen, deren Musik man sehr mag, man entdeckt auch neue Acts. Von der West- in die Ostschweiz, durch das Tessin und den nördlichen Rand des Landes. Trotz der theoretisch unmöglichen Einschränkung auf 13 Gespräche hat es Bettina Dyttrich geschafft, einen repräsentativen Blick auf die Gegenwart zu werfen. Auch dank der feinfühligen Gesprächsführung, die nie bloss die musikalische Arbeit thematisiert, sondern das Leben als kunstschaffende Person in vielen Bereichen abdeckt.
Frischen Wind bei Hatepop, jahrelange Erfahrung mit Les Reines Prochaines und Weltruhm mit Priya Ragu – doch schlussendlich bleiben Innenleben der Personen, das Umfeld und die gebotenen Möglichkeiten an ihren Wirkungsorten zentral. Ergänzt werden die Gespräche mit Essays über Lokalitäten, die ökonomische Lage, das Arbeiten mit dem eigenen Leben und die Mission von Helvetiarockt.
Schillernd und bunt wird das Lesevergnügen dank der fotografischen Begleitung von Florian Bachmann und Tatjana Rüegsegger. Ihre Bildstrecken zeigen die Musiker:innen auf und neben der Bühne, an ihren Rückzugsorten und im Alltag. Ein vorzüglicher Beweis, dass die Fotografie in diesem Bereich mehr kann, als bloss ein Auftritt festzuhalten. Durch diese Komponenten wird «Es hilft, dass ich Leute anschreien darf» ein Buch, das man interessiert liest, neugierig durchblättert und immer wieder zur Hand nimmt. Eine Pflichtlektüre.
Was bleibt ist der Wunsch nach einer Fortsetzung. Zum Beispiel mit Steiner & Madlaina, Anna Erhard, Sun Cousto, Kety Fusco, Asbest, Annie Taylor, Anna Aaron, Bitter Moon, Gravpel, Cruise Ship Misery und vielen anderen. Die Möglichkeiten sind so unbegrenzt, wie die klangliche Vielfalt in der Schweiz.