Kscope / VÖ: 4. März 2022 / Art-Rock, Pop
theanchoress.co.uk
Text: Michael Bohli
Zu spät zu sein, muss nicht immer schreckliche Folge haben. Als The Anchoress ihr zweites Album «The Art Of Losing» veröffentlichte, da zog die Platte an mir vorbei. 2021 wollte das Werk nicht europaweit erscheinen, andere Bands übertönten diesen Umstand. Jetzt aber gibt es den meisterhaften Rock-Stern in einer erweiterten Fassung, mit alternativen Versionen und 80 Minuten Spielzeit. Catherine Anne Davies will nicht nur kurz unsere Aufmerksamkeit, das zu Recht.
14 Tracks beinhaltet das eigentliche Album «The Art Of Losing», inklusive Präludium und Ausklang. Art-Rock, eleganter Pop und laute Gitarren – The Anchoress hantiert mit vielen Stimmungen und bringt diese fulminant zusammen. Es ist kein wildes Umherhüpfen, sondern eine Schau der Facetten. «Let It Hurt» kombinieren Gesang, Klavier und Rhythmus in packender Weise – emotional vorgetragen und in den Bann ziehend, «The Exchange» mit James Dean Bradfield als Gast ist eine Hymne für die Ewigkeit. Immer trifft die Künstlerin in die Mitte, ins Herz. Das Konzept behandelt persönliche Verluste und Trauer, «All Farewells Should Be Sudden» und «The Heart is a Lonesome Hunter» gehen bereits mit ihren Titeln tief.
Vieles auf «The Art Of Losing» ist gewichtig und will zuerst verarbeitet werden, man hört die Kämpfe und Beschwerden von The Anchoress in jeder Komposition. Der Musikerin gelingt es aber, diese dunklen Mächte in mitreissenden Rock umzuwandeln, der sich an Sounds bedient, die bis in die Achtzigerjahre zurückreichen (etwa beim Titelstück) und ohne zu grosse Komplexität unberechenbar bleibt. Entstanden ist eine grosse Platte, die das Frausein in der heutigen Zeit auseinandernimmt und neu positioniert. Das funktioniert ohne die Bonus-Tracks, diese machen das Erlebnis aber differenzierter und laden zu weiteren Reisen ein.