14. Oktober 2019
Im Gespräch mit: Deborah Spiller (Gitarre, Gesang), Naemi Zurbrügg (Gitarre, Strings), Christine Wyder (Schlagzeug) und Charles Grögli (Bass, Gesang) von willibald.
Sie stehen noch am Anfang ihrer Karriere, leisten aber bereits Beachtliches: willibald aus Bern zelebrieren den rauen Rock, der sich immer wieder stark in den Noise legt. Mit Cellobogen auf den Saiten, drei Frauen und einem Mann hinter den Instrumenten und grossem Willen. Bevor im Frühling 2020 endlich das Debütalbum „Le roi est mort“ bei Oh, Homesick. Records erscheint, haben wir mit dem Quartett gesprochen und in Erfahrung gebracht, wie sie mit Lärm umgehen und zu einer Auftrittsmöglichkeit in Minsk kamen.
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Michael: Wir sitzen hier in der Burgunder Bar – darum gleich als erste Frage: Gibt es bei willibald einen Konsensdrink?
Christine: Die anderen drei trinken gerne Bier. Das mag ich nicht so. Was bestimmt alle miteinander geniessen können, ist Kaffee.
willibald gibt es seit 2015, ist als Band aber weitergewachsen. Wie fühlt sich die aktuelle Besetzung an?
Deborah: willibald ist klar diese Konstellation jetzt, zu viert haben wir unseren Klang gefunden.
Charles: Ja, insbesondere soundtechnisch sind wir an einem Punkt, an dem wir zu viert weiterarbeiten können.
Gitarren und Lärm – da ist mehr immer besser, oder?
Charles: Nicht unbedingt mehr, vielleicht verfeinert. Wenn Lärm herrscht, dann mit mehr Struktur und Überlegungen.
Christine: Dazu gehört das Herausarbeiten von Klängen. Gerade durch Naemi, welche mit dem Cellobogen auf der Gitarre spielt, konnten wir unser Spektrum erweitern und eine neue Stimmung in die Musik bringen.
Deborah: Wobei die Veränderung für den Sound grösser war, als Christine am Schlagzeug zu unserem Duo stiess.
Naemi: Die Frage ist, wie man Lärm definiert. Schönheit ist darin genauso enthalten wie auch störende Passagen, zum Beispiel absichtliche oder lange Feedbacks. Was gewisse Leute schon vor den Kopf stossen kann.
Dient der Noise Rock als Ventil oder macht es vor allem einfach Spass?
Charles: Bezüglich des Schreibens von Texten ist es auf jeden Fall ein Ventil, was Einfluss auf die Umsetzung zur Musik nimmt. Wenn es allerdings keinen Spass mehr machen würde, dann wäre es nicht relevant. Bei den Konzerten nimmt dies eine zusätzliche Ebene an, das Spielen von Rollen, das Ausschmücken.
Deborah: Man schreibt immer Texte über Themen, die einen gerade beschäftigen. Das Performen, Auftreten ist aber für mich ganz klar auch ein Ventil.
Christine: Auf jeden Fall beides. Lärm im Alltag zu zelebrieren, wird ausserhalb der Musik nicht gerne gemacht, zugleich entdeckt man dadurch neue Seiten von sich selbst.
Eure Lieder fliessen lange dahin, dauern an. Wie findet man bei einem Stück zum Ende?
Christine: Das ist je nach Lied unterschiedlich. Gewisse hatten wir im Grundgerüst schnell bereit, andere wiederum verändern sich seit Jahren. Der Prozess ist sehr lange, von der Grundform über abgeänderten Passagen bis zu neuen Inputs.
Charles: Wir nehmen all unsere Proben auf und hören diese wieder an. Da findet automatisch eine Reflexion mit dem eigenen Spiel statt.
Naemi: Wobei man sagen muss, dass die Aufnahmen auf dem kommenden Album nicht in allen Teilen den aktuellen Versionen der Songs entsprechen. Man spielt immer weiter mit dem Klang, den Effekten.
Wann kommt das Album, was könnt ihr darüber sagen?
Deborah: Im Frühling, zwischen März und April. Aufgenommen ist alles, schon seit längerer Zeit. Bis dahin veröffentlichen wir noch ein paar Singles, die nächste kommt Mitte November.
Charles: Diese vorausgehenden Singles werden digital erscheinen, das Album dann auch als Vinyl.
Deborah: Im Gegensatz zur vorherigen EP, welche den Findungsprozess unseres Klangs und Bandgefüge zeigte, wird das Album eine Momentaufnahme unseres gefestigten Schaffens darstellen.
Charles: Genau, und es war das Ziel, unseren Livesound möglichst gut einzufangen, dazu haben wir alle Lieder gemeinsam aufgezeichnet mit möglichst wenig Overdubs.
Emotionale Musik in Zeiten des Umbruchs – wird man da automatisch Teil des Protestes?
Charles: Politisch wird es automatisch, da wir als Personen hinter unseren Liedern stehen und unsere Anliegen und Meinungen in den Schreibprozess einfliessen.
Deborah: Im klassischen Sinne haben wir keine Protestsongs. Sich gleichgültig zu verhalten und die Musik losgelöst zu betrachten, finde ich aber falsch. Sicherlich ist die Geschlechterfrage ein Thema bei uns, da wir drei Frauen in der Band sind. Wir sind Feminist*innen: Das tragen wir nach aussen, wollen aber unabhängig vom Geschlecht als Musiker*innen beurteilt werden.
Naemi: Zu Beginn hatte ich Mühe damit und wollte nicht, dass wir als «Frauenband» erwähnt werden – doch leider ist es immer noch nötig. Bands mit vielen Frauen sind nicht selbstverständlich, darum sollte man es unbedingt erwähnen, solange bis es eben selbstverständlich ist.
Deborah: Als Teenager hätte ich mir auf jeden Fall auch mehr Bands gewünscht, bei denen Frauen auf der Bühne gestanden hätten. Das hätte mehr Mut gemacht.
Wurdet ihr denn mit sexistischen Aussagen konfrontiert, auf Tour, an euren Konzerten?
Charles: Dass Christine unsere Schlagzeugerin ist, das wird teilweise erst wahrgenommen, wenn wir es den Leuten sagen. Meistens wird davon ausgegangen, dass ich der Schlagzeuger bin.
Christine: Auf der einen Seite ist es schön, wenn Mitarbeiter von Clubs mir beim Aufbau oder Ausladen helfen möchten, andererseits ist es gleichermassen ein Gefühl der Unfähigkeit, welches damit vermittelt wird. Eine Überheblichkeit, ob gewollt oder nicht. Beim Soundcheck erlebte ich dies ebenfalls, bezüglich dem Klang meiner Snares, der zwar bewusst so gewählt wurde, durch Aussagen des Tontechnikers aber Zweifel bei mir aufkamen. Da ordnet man sich schnell unter oder hat das Gefühl, dass man selber Grenzen überschritten hat.
Deborah: Allgemein ist es so, dass uns weniger zugetraut wird, dass wir unseren Klang bewusst wählen. Ob dies nun Aussagen bezüglich Hall auf den Instrumenten sind oder anderes. Da müssen wir uns oft gegenüber dem Tontechniker verteidigen, rechtfertigen. Was für uns ein Lernprozess ist.
Bezüglich Konzerte: Ihr wurdet eingeladen, ein Konzert in Minsk zu spielen. Wie kam es dazu?
Naemi: Ich habe mit einer Freundin, welche aus Minsk stammt, hier in Bern gewohnt und sie mag unsere Musik sehr. Diesen Sommer besuchte ich sie in Belarus und lernte einen der Organisatoren des IBB (Internationales Bildungs- und Begegnungswerk) kennen. Er hat uns eingeladen, an ihrem 25jährigen Jubiläum spielen zu kommen, an dem es anderem darum ging, wie Kunst sozialen Aktivismus unterstützen kann. Auch feministische Anliegen wurden thematisiert. In diesem Zusammenhang wurden wir eingeladen als quasi „exotische“ Band.
Deborah: Wir waren die einzige Band an diesem Anlass und hatten somit einen Lichttechniker und eine Bühne mit wunderbarer Ausrüstung nur für uns selber. (lachen)
Wie waren denn die Reaktionen des Publikums?
Deborah: Sehr positiv. Die Leute waren sofort im Moment und konnten das Konzert sehr geniessen.
Charles: Es war sehr schön zu merken, wie offen die Leute für unseren Sound waren.
Naemi: Nach dem Konzert sagte jemand zu mir, dass es wie ein Stück Freiheit war, diese laute Musik.
Könnt ihr es euch vorstellen, in naher Zukunft weitere Konzerte oder gar Tourneen in fernen Ländern zu spielen?
Deborah: Auf jeden Fall, das wäre sehr schön. Russland würde mich klar reizen. Oder Polen.
Bald spielt ihr in Zürich. Auf welchen Bühnen fühlt ihr euch am wohlsten?
Charles: Das ist unterschiedlich. Jedes Mal, wenn wir auf grossen Bühnen spielen, mag ich es sehr, dass die Technik funktioniert und man genügend Platz hat.
Naemi: Dies auf jeden Fall, gleichzeitig kann es sich auf kleineren Bühnen vor weniger Publikum sehr gut anfühlen, wenn die Stimmung gut ist.
Was ist willibald?
Deborah: willibald, das sind wir. (lachen)
Naemi: Was wir nicht wussten: Es gibt eine Firma, welche Shredder herstellt und willibald heisst. Passt eigentlich noch gut. (lachen)
Deborah: Und eine Gin-Brennerei in Kanada existiert ebenfalls mit diesem Namen.
Was möchtet ihr ARTNOIR-Leser*innen noch mitteilen?
Charles: Geduldet euch, das Album kommt. Und wird gut.
Das hoffen wir! Vielen Dank für eure Zeit und Musik.
Interview: Michael Bohli