Irascible Records / VÖ: 8. März 2019 / Mundart, Pop
stahlberger.ch
Text: Michael Messerli
Die St.Galler Kreativgemeinschaft Stahlberger hat sich zu einem Kern verdichtet, der mehr als nur die DNA der Texte von Namensgeber Manuel Stahlberger enthält. Die Mitglieder sind oder waren in verschiedenen anderen Projekten aktiv, welche der Promotext fein säuberlich für jede Person auflistet. Neben dem sowieso sehr umtriebigen Manuel Stahlberger ragte letztes Jahr das Album “Melodies Of Immortality“ heraus, das Schlagzeuger Dominik Kesseli und Gitarrist/Keyboarder Michael Gallusser als Lord Kesseli And The Drums veröffentlicht haben. Zufall also, dass das neue Album von Stahlberger so elektronisch ausgefallen ist? Geplant scheint es jedenfalls nicht gewesen zu sein. Aber “Melodies Of Immortality“ ist dermassen gut gelungen, dass tatsächlich etwas vom Space-Dreampop dieses ausgefallenen Duos auf die Lautmalerei von “Dini zwei Wänd“ abgefärbt haben könnte.
Manuel Stahlberger vertieft darauf seinen ganz eigenen, speziellen Blick auf unsere Gesellschaft, der sich über die Jahre sowie über die Alben hinweg weiterentwickelt hat. Was zu Beginn noch eher eine Mischung aus Kabarett, Kleinkunst und Mani Matter war, wird heute viel mehr um die Ecke konstruiert. Abstrakte Beobachtungen und groteske Szenen, teilweise wie in einem Fiebertraum anmutend und eigentlich nur noch dann komisch, wenn sich “Wurschtguetschi“ auf “Herr Gautschi“ reimt. Hier hat sich etwas in eine Richtung verschoben, das auf verschiedenen Ebenen funktioniert und nicht mehr nach Wortwitz verlangt, weil es auch ohne diesen längst viel zu gut ist. Es entstehen Bilder – und diese sind auf “Dini zwei Wänd“ ausgezeichnet.
In einer Welt, in der alles möglich zu sein scheint, liefert “Dini zwei Wänd“ einen Kontrast. Und der fällt auch mal sehr traurig aus. In “Chline Fisch“ glaubt man eine einsame alte Frau zu sehen, die es nicht mehr vor die Türe schafft und immer kleiner wird, bis sie so sehr geschrumpft ist, dass sie bald durch die Ritzen im Boden verschwindet. Nein, die Welt da draussen steht nicht allen offen und manchmal müsste schon ein Sturm kommen, um an der bestehenden Ordnung etwas zu ändern. Denn trotz Globalisierung und Digitalisierung spielt sich einiges in einem sehr kleinen Kreis ab. Immer wieder drückt in der von Elektrobeats geprägten Platte ein Gefühl des Verlorengehens und des Verschwindens durch. Sind wir mit uns und all diesen Optionen nicht auch überfordert? “Min Wäg isch immer dä gsi/ Woni am wenigste nid will“, heisst es stellvertretend.
Der oft fast schon unbeteiligt-lakonische Gesang des Erzählers Stahlberger untermalt diese Stimmung. Auf eine Pointe und oft auch auf einen Refrain wartet man vergebens. Nur zweimal nimmt die Elektronik so sehr überhand, dass man sich noch ein bisschen mehr daran gewöhnen muss. Während das in “Über Nacht isch en Sturm cho“ gerade noch aufgeht, übertreiben es Stahlberger in “Velochlauer“, das auch textlich nicht mithalten kann. Dem gegenüber steht der Mut von Stahlberger, aus dem kleinen Kreis auszubrechen und einem einen zunehmend kühlen Wind entgegen zu blasen.