Band: Skinny Puppy
Album: Weapon
Label/Vertrieb: Metropolis
Veröffentlichung: 31. Mai 2013
Website: skinnypuppy.com
Geschrieben von: Dennis Bäsecke
Skinny Puppy erheben abermals den mahnenden Zeigefinger, um ihn in die eiternde Wunde der Gesellschaft zu legen. „Weapon“, das neue Geschoss der kanadischen Ton-Pioniere ist bitterer, bissiger und schärfer als der Vorgänger „HanDover“.
Der erste Track wornin‘ knattert in einem unerbittlichen 16tel-Raster durch die Ohrmuschel. Die zweitaktige Hauptmelodie saugt sich sofort am Gehirn fest. Die ausgewählten Klänge wirken in ihrer analogen Schlichtheit fast harmlos – wie ungeschliffene Relikte der Atari-Ära. Doch dann kommt die Stimme, so roh und abscheuerfüllt, wie wohl nur niVek ohGr einsetzen kann. Nach dem ersten warnenden Statement bricht der Beat über uns herein und wir sind im Strudel gefangen, der uns erst nach „terminal“ wieder auskotzt.
In allen Songs wird in gewohnter Manier ohGr’s Stimme mit Effekten malträtiert (Delay, Vocoder, Distortion, Ringmodulator, Backward Masking…). Ein Cyborg-Instrument aus der menschlichen Stimme und ihrem elektronischen Gegenüber wird gezüchtet. Mit dieser Technik haben Skinny Puppy über die Jahre einen unverkennbaren und vielfarbigen Sound entwickelt, der auf die Klangstruktur der Wörter ebenso eingehen kann, wie auf ihren Inhalt. In „illisiT“ verschmelzen Stimme und Sequenzer zur akustischen Faust, die mit dem Mantra „This is a criminal age“ ungemütliche Wahrheiten ins Licht zerrt.
Die Musik des neuen Werkes steckt voll ziehender Rhythmen und zwingender Melodien. Vor allem aber ist sie mit Überraschungen gespickt: „gLowbeL“ irritiert zum Beispiel mit seiner fahl schizophrenen Yamaha-Jahrmarkt-Romantik und den praktisch „nackten“ Vocals bevor das ganze Lied im Hall-Nebel versinkt. Die oberflächliche Heiterkeit des Wahwah-Chorus von „survivalisto“ lässt die menschlichen Trümmerberge, von denen es erzählt noch schauerlicher werden.
Ist es zu weit hergeholt, einen liebevollen Knicks vor Throbbing Gristle’s „Slug Bait“ zu hören, wenn das messerscharfe „Knife“ durch das Klangpanorama des „paragUn“-Refrains schiesst? Völlig egal! Auf jeden Fall ist das „industrial music for industrial people“ und ein grossartiger Tanzflächen-Schüttler. Nächster Höhepunkt: „tsudanama“, welch herrlich kaputter Sound-Zahnrad-Mutant. Beat und Textphrasen zersetzen sich selbst. Polyrhythmisch flackernde Musik im Selbstzerstörungsmodus.
Balladen wie „Haze“, „Wavy“ oder auch „Killing Game“ sucht man hier vergebens. Bis zum melancholischen Schlusspunkt „terminal“. Ein erstickender Klagegesang aus Samplefetzen, Regensounds und Laid-Back-Phrasen eskaliert ein letztes Mal und erstirbt dann unter zaghaften Vogelrufen.
Das Album ist hypnotisch, chaotisch und unwiderstehlich. Skinny Puppy hat immer den Zahn der Zeit ausgeschlagen, aber diesmal übertreffen sich die Kanadier selbst. Mit einer ideellen Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln schaffen sie Musik, die kein bisschen altbacken wirkt. Ein gezieltes und kraftvolles Design macht das Hauptanliegen der Band schon vor dem ersten Ton klar. Wortspielende Songtitel wie „plastiCage“ begeistern den Sprachfreund und Dringlichkeit vereinigt sich mit musikalischem Höhenflug. Die beste Neuerscheinung seit langem. Darum hier ganz inoffiziell von mir die sechste Fledermaus: ^v^
Tracklist:
1. wornin‘
2. illisiT
3. saLvo
4. gLowbeL
5. solvent
6. paragUn
7. survivalisto
8. tsudanama
9. plastiCage
10. terminal
Bandmitglieder:
niVek ohGr
cEvin Key
Mark Walk
Gründung:
1982