Rookie Records / VÖ: 14. Februar 2025 / Indie, Punk
shirleyholmes.de
Text: David Spring
«This is the feeling of the world und ich bin total verstört.»
Ja, die Welt, sie ist dieser Tage kein einfacher Ort. Alle wollen einander an den Kragen, Missgunst und Hass wohin man schaut, Proleten und Propaganda, und nichts macht mehr Spass. Doch etwas Hoffnung gibt es, denn in diesen bizarren Zeiten kommt nichts gelegener als ein neues, wunderbares Album von Shirley Holmes.
«Mein bestes Selbst» heisst das gute Teil, womit das sympathisch-punkige Indie-Trio aus Berlin Musik abliefert, die nicht besser zur aktuellen Zeit passen könnte. Ironie, Wortwitz und eine klare Kante sind seit jeher die Eckpfeiler des Shirley Holmes Erfolgskonzepts, und sie sind auch 2025 immer noch die ernsteste lustige Band (oder doch die lustigste ernste Band?), die es so gibt. Der dem Cover-Artwork entsprechende Opener «Verstört» eröffnet mit post-punkigen Klängen erstaunlich düster, bevor der standesgemäss englisch/deutsche Gesang uns hereinbittet. Der Track fühlt sich versöhnlich und sicherheitsstiftend wie eine lang ersehnte Umarmung an, vermittelt aber gleichzeitig auch dieses unbehagliche Gefühl, dass nichts jemals mehr so sein wird, wie es war.
«Andere haben Hobbies, ich habe Angst. Andere sehen die Sonne, ich den Untergang.»
Die Musik von Shirley Holmes ist feste im modernen Indie-Punk zu Hause, wie man Songs wie dem rastlosen «Niemand drin» oder dem äussert passend betitelten «Aggressive Musik» unschwer anzuhören vermag. Dazu gesellen sich viele wundervoll eingängige Melodien und mitsingbare Parts, was die Songs weit von schrammelig durch die Lautsprecher geboxtem Lärm unterscheidet. Dazu setzt das Trio neben schroffen Gitarren und treibenden Beats auch gerne allerlei Electronica sowie haufenweise Effekte ein. Immer wieder erwachen Erinnerungen an die besten Zeiten von Jennifer Rostock oder, etwas moderner, exzellente Bands wie Tyna, Blond oder gar Metric. Doch wem erzähle ich das? Shirley Holmes teilten sich die Bühne ja schliesslich bereits mit Grössen wie den Beatsteaks oder gar dieser einen anderen Band aus Berlin (auuus Berlin!) und sind keine Unbekannten!
Ohne dem Zynismus zu verfallen, aber auch ohne die Wichtigkeit und Schwere der besungenen Realitäten kleinzureden, gelingt es jedem der elf Songs auf dem Album, genau die richtigen Worte zu finden. Die grossen, weltpolitischen Fragen wurden andernorts schon zur Genüge besungen, bei Shirley Holmes geht es menschlicher und nahbarer zu und her. Die Lyrics beschäftigen sich mit Themen wie gentrifizierungsbedingtem Kulturverlust im Wohnviertel («Koks oder Käse»), moderner Lebensgestaltung («Angst & Hobbys»), Überarbeitung und Prokrastination («Übermorgen»), Informationsüberfluss und Doomscrolling («Frage für einen Freund») oder der ewigen Suche und Hoffnung auf Zusammenhalt und Gemeinschaft («Verstärkung»). Die Platte ist durch und durch versöhnlich, intensiv und ehrlich, genauso, wie es der bandeigene Dreistufenplan vorsieht: Verarbeiten, Anregen, Empowern.
«You think you shine, you think you’re hot. I see a lot of Schrott.»
Falls es bisher nicht klar war: «Mein bestes Selbst» ist ein enorm wichtiges, vorzügliches Album, dass in jede ordentliche Plattensammlung gehört. Punk läuft schnell Gefahr, sich selbst zu ernst zu nehmen oder in sich ausgelutschten Parolen zu verlieren. Dass Shirley Holmes es sich erlauben, so ehrlich und real zu sein, und auch noch schonungslos fröhlich, ist endlos erfrischend. Darum gibt es sämtliche Daumen nach oben und nichts als Lob und Liebe.
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