MNRK Records / VÖ: 4. Februar 2022 / Post-Hardcore
rolotomassiband.com
Text: Michael Messerli
Rolo Tomassi packen ihren Koffer und nehmen mit: Math-Core, Shoegaze, Dreampop, Post-Metal, Gekeife und Gesang, Intimität und Dissonanz sowie einen Konzertflügel. Ein Grund, warum die Alben der Band aus Sheffield immer wieder funktionieren, scheint banal: Rolo Tomassi haben auch die entsprechenden Melodien mit im Gepäck. Ein zweiter Grund ist, dass sie sich bei jeder Reise neue Ziele setzen, welche sich letztlich konsequent im Sound niederschlagen, selbst wenn die Region, in die sie sich begeben, mehrheitlich die gleiche bleibt. Es ist ein Ort, wo das Bauchgefühl oft Kopf steht und das Innenohr nicht immer weiss, wo ihm ebendieser steht. Diese Dynamik, die man ganz plump auch als Achterbahnfahrt bezeichnen könnte, bremst häufig wieder ab und holt einen zurück auf den Boden. Die entsprechenden Pausen sind ein dritter Grund, so dass man sich auch an die fordernden Parts gewöhnt, weil man nach ein paar Hördurchgängen versteht, dass es nicht immer knallt. Es knallt vor allem dann, wenn es muss.
Der Vorgänger «Time Will Die And Love Will Bury It» war ein Glanzstück, ein strahlender Leuchtturm des experimentellen Post-Hardcore. An diesen kommt das neue Album nicht ganz heran, weil der Witz in 17 Bandjahren natürlich schon ein paarmal erzählt wurde, auch wenn die Pointe nicht immer dieselbe ist. Aber «Where Myth Becomes Memory» ist ein mehr als würdiger Nachfolger. Wer die letzte Platte von Deafheaven mochte, wird auch hiermit warm. Wer auf «Infinite Granite» gar etwas vermisste, der wird mit der neuen Rolo Tomassi ziemlich glücklich.
Sie schaffen es, ihre Songs raumgreifend auszulegen, sie wie Gewitterwolken in den Himmel wachsen zu lassen und sie anderswo zu entladen. Sie zerlegen sie teilweise fast über die ganze Länge hinweg wie im abgründigen «Labyrinthine», lassen dem gegenüber gleich die Erholung folgen («Closer») und verbinden schliesslich Zuckerbrot und Peitsche im mehrschichtigen, ratternden «Drip». Kann das jeweils dieselbe Band sein? Die Antwort überrascht einen selbst ein bisschen, weil sie selbstverständlich erscheint. Rolo Tomassi kommen mittlerweile in ihren Songs dermassen auf den Punkt, dass man beinahe versucht ist, ihnen eine Formel zu unterstellen. Und das ist der letzte Grund, warum «Where Myth Becomes Memory» so toll gelungen ist: Es gibt keine.