Band: Pictish Trail
Album: Thumb World
Genre: Indie / Folk / Electro / Lo-Fi
Label: Fire
VÖ: 21. Februar 2020
Webseite: pictishtrail.co.uk
Ein Daumen trampt vollbepackt durch den finsteren Wald, vorbei an geheimnisvollen Steinzeichnungen. Stellt sich auf einen Felsen und wird hochgebeamt von diesen ausserirdischen Fingern – Spannung was daraus wird – was kommt. Eine schreckliche Maschine nähert sich dem Daumen und reisst – ach du meine Güte – reisst eine Heftklammer aus dem Daumen und lässt ihn gleichauf wieder entschweben im Leitstrahl der Erde entgegen. Die ganze Szenerie ist untermalt mit einer lieblichen Melodie aus dezenter Elektronik, zarter Stimme und einem Hauch extraterrestrischer Mystik. Als ich diesen Track hörte und sah musste ich dem Sound auf den Grund gehen.
Gleich doch mal das Internet fragen. Google such! Aha, der Song „Slow Memories“ ist vom schottischen Musiker Johnny Lynch alias Pictish Trail der, neben seinem Vollbart auf sämtlichen veröffentlichen Fotos immer irgendwas im Gesicht hat. Wenn’s nicht glitzert, kullern Augen auf Wangen und Stirn. Aber weiter in der Recherche. Ein Indie-Folk Sänger der – oh siehe da – bereits ein ansehnliches Albumrepertoire sein eigen nennt, den Publikumspreis für das schottische Album des Jahres 2017 erhielt und auch schon in der Schweiz seine Klänge anstimmte (Tatarataaa! ARTNOIR berichtete in einigen wenigen Zeilen darüber). Doch zurück zum Ausgangspunkt. Beim eben erwähnten „Slow Memories“ handelt es sich um die Vorabsingle zum neuen Album „Thumb World“, also Daumenwelt. Klingt ja ebenfalls spannend = hol ich mir.
Was für ein schönes Erlebnis wenn schliesslich nach bereits eingehender Vorprüfung das Paket für einmal rundum aufgeht und dazu so amüsant die Sinne umschmiegt. „Thumb World“ ist ein abwechslungsreiches Indie-Folk-Album in einer breiten Fülle. Gähn, kennen wir schon, is ja klar. Einheitsgeplörre der ganz üblen Sorte. Geschieht halt, wenn in dieser genormten Welt sämtlich guter Geschmack entfällt. Doch halt, lasst mich ausreden. Spannend wird die Musik von Pictish Trail durch die Paarung mit durchdringenden Lo-Fi Elementen, die sich gleitend und in ganz unterschiedlichen Texturen durch die zehn Songs ziehen, von welchen noch dazu jeder seine eigene kleine in sich abgeschlossene Story erzählt. Sie reichen von tiefgründigen philosophischen Gedanken, bis hin zu bekloppten Illusionen von intergalaktischem Sex, über die gefühlte Selbstkasteiung des Künstlers.
Jede dieser Geschichten wird mit der perfekten musikalischen Rezeptur erzählt. Da ist die Idee von einem virtuellen Leben in der textlichen Botschaft von „Double Sided“. Die Simulation einer Existenz in der man diverse Versionen des Lebens ausprobieren kann, vertont in verzerrter Elektronik mit Roboterstimme. „Pic Nice“ wiederum ist die Auseinandersetzung mit der pietätlosen Trump’schen Einwanderungspolitik. Ein sphärischer, dezent monotoner Westernsound die Musik dahinter. Da schlucke dann schon sehr tief bei der Textpassage: „Pig pen, gonna cage it up.“ Elegisch und schleichend traurig wiederum, versuchen wir Angst zu verbergen in „Fear Anchor“, bevor „Bad Algebra“ in seiner Beklopptheit alles über den Haufen wirft und das Alleinsein auf die Schippe nimmt.
Da schreit es sich auch mal durch den Refrain, bevor es wieder ganz lazy weiter geht und klar wird, dieser Musiker nimmt sich eben nicht ganz so ernst. Gar einen Ausflug in den musikalischen Minimalismus wag der Schotte. Wenn er sich in „Heart Eyes“ über einen Drogentrip auslässt ist die Hintergrundmusik schmal, der Bass aber hämmert stetig und durchdringend in die Weite. Der kleine feine Ausreisser auf der Scheibe. Kann ja passieren – so Trips hat und so … Na ja, ihr wisst schon – Anders.
Es scheint als bediene sich Pictish Trail aus sämtlichen Füllen der Musikvariablen, bis hin zu gar poppigen Verschnaufpausen. Gleichwohl ist das Album wegen seiner Verträumtheit und den elektronischen Elementen eine Einheit. Egal, ob es sich um den freakigen Spassestraum oder den düsteren Alptraum handelt, die Träumerei ist vernetzt und muss bekanntlich keinen Sinn in der Abfolge ergeben. Taucht also ein in die elegisch verzauberte, elektronisch vibrierende Indie-Folk-Lo-Fi-Welt der Däumlinge. Ich bin gespannt in welche Richtung euer Daumen zeigen wird.
Tracklist:
1. Repeat Neverending
2. Double Sided
3. Pic Nice
4. Lead Ballon
5. Fear Anchor
6. Slow Memories
7. Bad Algebra
8. Heart Eyes
9. Turning Back
10. Thumb World
Bandmitglieder:
Johnny Lynch
Text: Sebastian Leiggener