Euphorie / VÖ: 24. Februar 2023 / Electro, Spoken-Word
miramann.net
Text: Patricia Leuchtenberger
Ein Stück der durchwachsenen Münchner Musikszene meldet sich mit einem ganz besonderen Werk zu Wort: Mira Mann, früher noch mit der Band Candelilla im Business, erreicht mit ihrem Debüt „weich“ die ganz wunden Punkte der Gesellschaft. Diese, die im eigenen Körper so abgelegen sind, von denen man sich derart abgespalten hat, dass nur der harte Synthesizer-Sound auf „weich“ zu den Stellen durchdringen kann. Darüber: eine immersive Aneinanderreihung von gesprochenen Momentaufnahmen, angenommen von Mira Mann selbst, die dem Hörer Zeuge der Einsamkeit, Suche, Unruhe ist.
„weich“ beginnt mit letzterem, mit „Unruhe“, den zehrenden Momenten und hangelt sich dann von „Arbeit“ zu „Einsamkeit“, von dort an zu „Abschied“, „Traum“ und „Sehnsucht“, zuletzt bildet „Vertrauen“ das Schlusslicht in einer Kette an zehn selbsterklärenden Song-Titeln. Das Konzeptalbum motiviert so den Hörer, die Tracks in der vorgegebenen Reihenfolge zu hören: Zuerst die aufreibende Angst, dann die Verwirrung, die Suche, daraufhin das Fühlen – der Traum, die Kontrolle, Ver-trauen.
Die ersten Takte sind unangenehm angestimmt, elektrisierend wabern aufdringliche Wellentöne ins Ohr, die die Künstlerin sogleich mit ihrer Stimme überspielt. Sie erzählt von einem Strauß von Nelken in einer Plastikflasche, monoton, in U-Bahn-Durchsagestimme, weich verzerrt, eindringlich von den verschiedenen Farben der Blumen. Eine wichtige Symbolfigur, durch die Mira Mann die Welt zu sich „durchdrücken“ lässt: In gleicher Struktur beschreibt sie danach noch einen weiteren Blumenstrauß und einen Apfelbaum in ihrem Zerfall, in ihrer Blüte, Punkte– immer mit „viel orange“, nur „eine weiß“. Sie stellt fest: „Du bringst alles durcheinander.“
Ob sie damit auf ihre kürzliche Geburt anspielt? Blumen als Zeichen der Glückwünsche im Krankenhaus? Ihr Kind? Man hat nicht lange Zeit, da ertönt ein mächtiger Bass in „Arbeit“ und spielt sogleich auf den Song davor an: „Ich arbeite. Pause. Gib mir Ruhe. Gib mir Kraft.“ Die Songs sind wie ein Fotoalbum, wie ein analoger Film. Anhand alltäglicher Erfahrungen, die mehr relatable nicht sein könnten, verhandelt Mira Mann die Themen der Menschheit ab, ohne einen Anspruch auf Allgemeinheit zu stellen.
„Sehnsucht“ thematisiert die Sucht nach Elektronik und FOMO – „the fear of missing out“, mit der sich die Postmoderne herumschlagen muss. Auch wenn die Atmosphäre zunehmend in der Laufzeit freundlicher und insgesamt heller wird – die Themen bleiben knallhart. „Unschuld“ verhandelt sexualisierte Gewalt, beginnt mit einem erschütternden Moment an Übergrifflichkeit, der gefasst geschildert wird, sodass es einem eiskalt den Rücken runterläuft.
Es ist schwierig dieses Album in ihrer Enge und Komplexität zu beschreiben. Es lässt sich hören wie ein Hörspiel, eine Kritik an der Moderne, ohne Vorwürfe oder Beschönigung. Dass Mira Mann auch als Autorin arbeitet, die rund um „weich“ die passenden Textbände veröffentlicht, lässt sich durch die präzise Wortgewandtheit und Textsicherheit leicht ausmachen. Sie spricht, was ich nicht sagen kann – man fällt nach der Platte in ein existentielles Loch, so tief gräbt die Münchnerin in den Dingen. Aber das Gute: Man fällt weich.