Mute Records / VÖ: 12. November 2021 / Alternative, Instrumental
leeranaldo.com
Text: Michael Bohli
Viele Kunstschaffende haben sich in den letzten beiden Jahren situationsbedingt zurückgezogen und in der stillen Kammer an ihren Schöpfungen gearbeitet. Gewisse Musiker:innen haben die Karriere überdacht und den Sound verändert, Lee Ranaldo versuchte mit einem minimalistischen Ansatz die herrschenden Bedingungen zu erfassen. Der ehemalige Gitarrist von Sonic Youth zeigt sich auf dem vierteiligen Instrumentalwerk «In Virus Times» nachdenklich, zurückhaltend und nicht immer konkret fassbar.
Dass sich der Musiker aus Amerika schon lange von den typischen Rocksongs und -strukturen verabschiedet hat, wurde uns allen nicht erst mit der Kollaboration mit Raül Refree (Album «Names of North End Women» aus dem Jahre 2020) klar. Die vier Teilstücke von «In Virus Times», welche gemeinsam in Variationen eine experimentelle Gitarrenkomposition bilden, nehmen Lee Ranaldos Seele als einzelnes Element und verwandeln Empfindungen zu einer globalen Wirkung. Die Zeit stoppt, wenn die Saiten fokussiert angeschlagen werden, die Umgebung leert sich.
«In Virus Times» ist mehr abstrakte Übung als Lied, einzelne Klänge und Akkorde schwingen lange nach und bleiben in der Luft stehen. Lee Ranaldo wollte mit dieser Veröffentlichung die bewegungslose Zeit einfangen, die Monate, in denen scheinbar nichts passierte. Das ist ihm auf eine Art gelungen, gleichzeitig aber bleibt die EP etwas unscheinbar. Gitarrenfanatiker:innen finden in den vier Abschnitten viele aufregende Töne, alle anderen wenden sich wohl den älteren Platten Ranaldos zu.