Matador Records / VÖ: 26. Februar 2021 / Singer-Songwriter, Indie
julienbaker.com
Text: Michael Messerli
Julien Baker hat auf ihrem neuen Album fast alles selber gemacht – eine grosse Last auf immer noch jungen Schultern. So macht man sich noch angreifbarer, vor allem gegenüber sich selbst. Man sollte sich also eine gewisse Fehlerkultur zugestehen. Aber da ist ja noch die Sache mit der Religion und die Frage, wie alleine man sich mit seinen Taten bzw. seinen Gedanken darüber tatsächlich auseinandersetzt. Sünde, Schuld, Busse und Sühne. Vergebung und zweite Chancen. Da wird es schnell knifflig, vor allem wenn man lesbisch ist, Probleme mit dem Alkohol hat und an einem Ort aufwächst, wo das alles nicht so zusammenpasst. Die Themen sind da und wiegen manchmal schwer. Baker versucht ihnen nach zwei sehr reduzierten Alben mit einem poppigeren Bandsound zu begegnen, wobei die „Band“ – wie eingangs bereits erwähnt – hier zu einer Einfraushow wird, die nicht zeigen soll, wie viel Talent ihre Protagonistin hat, sondern wie zwiegespalten sie ist. Wobei sich die Dinge bei Baker nicht einfach als Schwarz und Weiss darstellen. Dafür ist sie zweifelsohne, und auch ohne es zur Schau zu stellen, zu reflektiert.
Musikalisch klingt das alles gefällig, die Intimität von „Turn Out The Lights“ oder des noch skizzenhafteren Debüts ist jedoch weg. Pathos hingegen war immer schon da. Nur hat sich Julien Baker diesmal im Besteck verwählt, es ist zu gross und die Emotionen werden vom Hall verschluckt bzw. gehen darin unter, bis sie selbst darin verschwindet. Wäre „Little Oblivions“ nicht überproduziert, es würde an die emotionale Tiefe der beiden Vorgänger heranreichen können. Das erkennt man auch so, aber zwischen dem Erkennen und dem Berühren besteht ein Unterschied. Das fällt auch deshalb so auf, weil „Turn Out The Lights“ einem verdammt nahe kam und mit Kopfhörern an kalten Wintertagen oder beim Herbstspaziergang im Nebel Wärme und Licht spendete. Auch wenn der Albumtitel zum Gegenteil aufforderte. Ein Widerspruch war das nicht.
Widersprüche finden sich auch auf „Little Oblivions“ keine. Immerhin bleibt es konsequent in der Spur und verirrt sich nicht. Und so findet man schnell Momente, in denen sich Gefälligkeit in Wohlgefallen auflösen. Etwa in „Heatwave“, das zeigt, wie dieses Album auch hätte klingen können, oder im traurigen Schlusspunkt „Ziptie“. Das tolle Stop-Motion-Video zu „Hardline“ hilft dabei, den Opener immer besser zu finden, wäre da eben nicht dieser Hall. Dass Baker ein Teil der mit grossen Erwartungen verbundenen Band boygenius ist, lässt sich im erhabenen „Favor“ nicht verheimlichen: Lucy Dacus und Phoebe Bridgers dürfen natürlich auch hier nicht fehlen. Julien Baker hat also noch eine ganze Karriere vor sich und im Zusammenhang mit „Little Oblivions“ von groben Fehlern zu sprechen, wäre unangebracht. Klar, sie macht Fehler. Sie lenkt etwa einen Song wie “Relative Fiction“ in die falsche Richtung, jedoch führt sie uns insgesamt nie auf die falsche Fährte.