Gamlestans Grammofonbolag / VÖ: 1. März 2024 / Folk-Rock
jesperlindell.com
Text: Torsten Sarfert
Das legendäre Abschiedskonzert «The Last Waltz» von Bob Dylans ehemaliger Begleitband «The Band» ist unerreicht. Das hyperambitionierte – und von Martin Scorcese später fürs Kino verfilmte – Mega-Event glänzte damals durch das hochkarätigste Line-Up, was 1976 in den Genres Roots/Folk-Rock, Americana & Rhythm’n’Blues aufzutreiben war. Es wurde eine riesige Familienfeier und schloss gleichzeitig eines der grossartigsten Kapitel im Geschichtsbuch der (nord-)amerikanischen Roots Music.
Jetzt wird dieses Kapitel von einem jungen, umtriebigen Schweden namens Jesper Lindell mit seinem neuen Album «Before The Sun» fortgeschrieben. Mit einer kratzigen Soulstimme (auch mal im Falsett) zwischen Van Morisson, Otis Redding und Graham Parker und Songs, die eines Robbie Robertson würdig sind, beschwört Lindell mit seiner fantastischen Band den Geist dieser vergangenen Zeit und katapultiert ihn beseelt und kongenial ins Hier und Jetzt. Schon allein der Titeltrack mit seinem staubigen Arrangement mit Honkytonk-Piano und peyotegetränktem Akkordeon atmet den Geist von The Band’s «The Weight», ohne es stumpf zu kopieren. Oder der Blue-Eyed-Soul von «One Of These Rainy Days», der mit einer himmlischen Horn-Section und Hammond-Orgel tatsächlich an die besten Zeiten eines Van Morrison erinnert.
Lindell und seiner Band geht es jedoch nicht um möglichst gute Kopien favorisierter Künstler, sondern um das «emotionale Zentrum» der Aufnahmen und die ganz ureigene Interpretation desselben. Die 10 Songs, die für «Before The Sun» in Jespers Lindells eigenem Brunnsvik Studio aufgenommen wurden, durfte die Band vor den Aufnahmesessions noch nicht einmal hören. Es sollte eine spontane und unvoreingenommene Aufnahme- und Arbeits-Atmosphäre geschaffen werden, um sich mit den geliebten Zutaten aus analogem Vintage-Musikinstrumentarium und ebensolcher Studiotechnik musikalisch vor den verehrten Vorbildern zu verbeugen und gleichzeitig dem Album eine kontemporäre, unverwechselbare Note zu geben.
Dies ist Jesper Lindell so gut gelungen, dass ich hiermit schon mal meinen ersten Anwärter auf das Album des noch jungen Jahres 2024 proklamiere.