Irascible Music / 18. September 2020 / Pop
jasminalbash.com
Text: Sebastian Leiggener
Die Suche nach den eigenen Wurzeln ist nicht immer nur freudiges, sentimentales Durchblättern der zahlreichen Familienalben in Mamas Schlafzimmer. Was wenn es diese vielleicht gar nicht gibt? Wenn die eigene Blüte gar entwurzelt in der Schwebe droht, den Kontakt mit dem Boden zu verlieren? Da kannst du nicht einfach zu graben beginnen, denn hier liegen deine Wurzeln nicht sämtlich da, wo du gewachsen bist.
Diese Entwurzelung kennt auch Jasmin Albash. Die Schweizer Musikerin mit Wurzeln in Palästina wagt sich mit ihrem sehr persönlichen Album „Gold“ an das Zweien der abendländischen mit der morgenländischen Kultur und landet dabei musikalisch in einer sanften Dämmerung im fahlen Lichtschein und einer warmen Farbenpracht. Spannend ist, dass diese Paarung nicht mittels Vermischung musikalischer Einflüsse aus diesen unterschiedlichen Welten geschieht, so wie es naheliegen würde. Nein, die Musik ist durchsetzt mit elektrischen Elementen und einem feinfühligen Grundbeat. Die Musikerin bleibt sich somit treu. Als Fundament stets die Stimme der Künstlerin, die geloopt, gesampelt und vervielfältigt den Texten die notwendige Kraft zu Wirken gibt. Texten, die ebenjene Paarung der Welten ausmachen, um die Blüte mit den Wurzeln zu versöhnen.
Das Album scheint sich im Aufbau an eine Gefühlswelt zu halten. Eine Gefühlswelt wie sie auftreten muss, wenn man sich zu neuen Ufern begibt, welche in vorliegendem Fall durchaus aus alten Stränden bestehen kann, die man zwar zu kennen glaubt, jedoch noch nie besucht hat. So steht der Titelsong „Gold“ für eine gewisse Aufbruchstimmung. Gut überlegt und sanft, fast schon zurückhaltend im Beginn, baut sich die Musik langsam auf, um zu vermitteln, wie es sich durch die folgenden sieben Songs ziehen wird. Es ist ein erster kraftvoller Akt – das Streben hin zu Neuem. Aufbruch und Zurückhaltung.
Dieser scheinbare Wechsel der vertonten Emotionswelten zieht sich biszu „I Raise My Voice For You“ hin. In diesem Minimalistischen, fast schon traurigen Stück gedenkt die Sängerin Ihren Grosseltern. Sentimentalität im Gesang, nur getragen von einem dezenten Beat. Bis hierhin scheint die Wurzelsuche schwerfällig und kräftezehrend. Erst „Unit“ schafft die Kehrtwende. Hier erwächst eine gewisse Aufbruchstimmung, eine gelöstere Verspieltheit zieht ein. Die Verbindung zu den Wurzeln scheint wieder zu bestehen. Alles lebt wieder. Ein Herzschlag wird hör- und spürbar, und baut die Brücke zu „Leave“ und „Moving On“, welche im Sound mehr Leichtigkeit ausstrahlen und in der Elektronik regelrecht erblühen.
Mit „Sink“, einer musikalischen Verbindung der zwei wahrgenommenen Albumteile, der Sanftheit und dem elektronischen Aufbruch endet diese Suche, die nicht immer nur freudiges, sentimentales Durchblättern der zahlreichen Familienalben in Mamas Schlafzimmer ist. Was wenn es diese nicht gibt, wenn die eigene Blüte gar entwurzelt in der Schwebe droht den Kontakt mit dem Boden zu verlieren? – Dann suche den Ort wo du gewachsen bist. Fange an zu graben, zu verbinden, zu verfestigen in der Erde an den soliden Steinen der Erinnerung. Beginne selbst ein Familienalbum. Es muss nicht aus Fotos bestehen. Es darf „Gold“ heissen.