15. Oktober 2018
Im Gespräch mit: Jake Gutzwiller (Projektleiter, Finanzen, Sponsoring), Pascal Hächler (Community Manager, Rahmenprogramm) und Nik Petronijevic (Booking) vom bergmal Festival.
Wenn ein Wal in der Limmat schwimmt, wenn glückliche Menschen im gesamten Kulturhaus Dynamo umherwandern, wenn sich viele Bands treffen, um die gemeinsame Musikliebe zu zelebrieren – dann kann das nur eines heissen: Das bergmal Festival findet in Zürich statt. Seit 2016 steht diese Veranstaltung dafür, aufregende Musik im Bereich des Post- und Experimental-Rock zu zelebrieren, und das ändert sich auch bei der dritten Auflagen in dieser Woche nicht.
Wie man sich trotzdem jedes Jahr neu erfindet und wo die schönsten Erinnerungen gemacht werden, das haben wir das OK-Team des Festivals gefragt.
Mehr Informationen zum bergmal Festival, welches vom 19.-20.10.2018 stattfindet, findet ihr hier. Tickets gibt es bei Ticketino.
Michael: Das bergmal geht dieses Jahr in die dritte Runde und dauert erstmals zwei Tage. Habt ihr mit diesem Erfolg gerechnet?
Jake: Wir haben uns natürlich erhofft, dass wir mit diesem Festival ein grosses Publikum für eine Nischenszene abholen können. Wir haben bei den ersten zwei Ausgaben gesehen, dass Besucher aus der ganzen Schweiz und sogar dem Ausland anreisen für diesen einen Tag. Um das bergmal Festival für dieses Publikum noch attraktiver zu machen, kommt dieses Jahr der Freitagabend dazu: vier Bands auf einer Bühne als Auftakt für den Samstag, der mit dreizehn Bands gleich gross bleibt.
Wisst ihr denn, woher die Besucher anreisen?
Pascal: Ja, zum einen durch die Umfrage, welche wir nach jedem Festival online durchführen, zum anderen sehen wir, woher die Leute ihre Tickets bestellen.
Jake: Mittlerweile sind wirklich viele aus den Nachbarländern dabei. Letztes Jahr kamen beispielsweise allein aus Deutschland über vierzig Fans, was verhältnismässig viel ist.
Wollt ihr denn noch wachsen, oder sind die Grenzen erreicht?
Jake: Wir planen die Zukunft auf jeden Fall Schritt für Schritt. Ein zweiter Tag ist ein Mehraufwand und wir müssen zuerst sehen, ob sich dieser auch lohnt. Natürlich gibt es immer Potential zu wachsen, in nächster Zukunft möchten wir aber auf jeden Fall im Dynamo bleiben.
Nik: Wir müssen auch darauf achten, dass die aktuell funktionierenden Bestandteile weiterhin klappen, sei es mit einem zweiten Festival-Tag oder beim allgemeinen Ablauf.
Pascal: So gesehen befinden wir uns immer noch am Anfang der Möglichkeiten. Im Dynamo ist das Wachstum aufgrund der Räumlichkeiten begrenzt, darum setzen wir vorerst auf Stabilität.
Nik: Wachsen bedeutet ja auch nicht unbedingt drei Tage oder mehr Bühnen, sondern vielleicht ein Ausbau des Rahmenprogramms, beispielsweise mit multimedialen Installationen oder dergleichen.
Das bergmal funktioniert nur dank seinen Helferinnen und Helfern. Wie einfach ist es heutzutage noch, Menschen zu finden, die ehrenamtlich mitarbeiten?
Jake: Es klappt von Jahr zu Jahr besser, die Helferanzahl wächst immer weiter. Dieses Jahr werden es achtzig Helfer sein und die Nachfrage ist gross – wir haben die meisten Jobs bereits besetzen können. Sehr viele bedanken sich sogar bei uns, dass sie helfen dürfen. Natürlich sind viele Freunde von uns dabei, aber auch Menschen, die unser Engagement schätzen und Teil davon sein wollen. Mit unseren „bergmal presents“-Shows, die für alle Helfenden gratis sind, versuchen wir, etwas zurückzugeben.
Könnt ihr selber das Festival geniessen oder seid ihr konstant am Arbeiten?
Nik: Letztes Jahr war für mich eines der grössten Highlights das Konzert von TTNG. Am bergmal habe ich immer einen extremen Tunnelblick, aber diese Band hat mich während meinen 15 Minuten Auszeit total umgehauen. Wie auch EF am Ende des ersten Festivals.
Pascal: Es kommt auf die Organisation an. Beim ersten Jahr hatten wir konstant etwas zu tun, letztes Jahr hatten wir vermehrt die Möglichkeit, kurze Pausen ohne Funkkontakt einzulegen. Was auch dieses Jahr bestimmt wieder so sein wird. Der grösste Lohn war für mich in der ersten Ausgabe 2016, als ich beim Konzert von Leech die Besucher beobachtet und ihre glücklichen Gesichter gesehen habe. Ich merkte, dass ich mit meinem Einsatz den Leuten etwas geben kann, und das ist der beste Lohn.
Jake: Auch wir arbeiten alle ehrenamtlich – mit dem Ziel, ein reibungslos funktionierendes Festival zusammenzustellen, an dem das Publikum und die Bands gleichermassen glücklich sind.
Wie ist der Umgang mit den Bands, familiär oder eher distanziert? Entstehen gar neue Freundschaften?
Jake: Eigentlich möchte jede Band wiederkommen (alle lachen).
Nik: Gerade im ersten Jahr gab es viele Bands, die sich gegenseitig bereits kannten und schon zusammen an Festivals wie dem dunk!festival gespielt haben. Und auch dieses Jahr spielen wieder einige Bands anschliessend ans bergmal weitere gemeinsame Konzerte. In unserem Backstage-Häuschen, in dem alle Bands zusammenkommen können, entstehen sicherlich viele Bekanntschaften, die zu Freundschaften wachsen.
Wie funktioniert denn die Finanzierung beim bergmal?
Jake: Wir versuchen, uns über die „bergmal presents“-Shows eine finanzielle Basis zu erarbeiten – ein Grossteil wird aber über Sponsoren gedeckt. Auch da haben wir sicherlich noch Potenzial: Wir haben auch im dritten Jahr noch nicht so viel Unterstützung erhalten wie erhofft.
Post- und Experimental-Rock ist natürlich eine sehr spezifische Nische.
Jake: Genau, und das merkt man im Sponsoring besonders deutlich. Gleichzeitig ist das auch ein Alleinstellungsmerkmal: Wir sind nicht das übliche Indie-Rock-Festival, das auch ein bisschen Electronica und auch ein bisschen Post-Punk bucht. bergmal ist schweizweit das einzige Festival für Experimental- und Post-Rock, das Spektrum ist musikalisch wahnsinnig breit und der rote Faden liegt eher in der Experimentierfreude, die alle Bands vereint – dieses Jahr von Egopusher über Toundra bis hin zu thisquietarmy oder Jaga Jazzist.
Wie schon erwähnt habt ihr unter dem Jahr das Label „bergmal presents“ am Start – das hat sich bewährt?
Jake: Wir haben vom Booking-Prozess viele Kontakte und schliessen am Festival Freundschaften mit den Bands, sodass diese gerne wieder zurückkehren. Mit „bergmal presents“ haben wir ein Format gefunden, das beide unterstützt: Bands aus dem Line-Up, aber vor allem auch die Bands, die es aus Termingründen nicht ans Festival im Oktober schaffen. Die Partnerschaften mit dem Dynamo oder neu auch dem Moods sind wunderbar und bieten uns viele Möglichkeiten. Und: An diesen Abenden können sogar wir selber das Konzert geniessen.
Welcher Festivalmoment war der bisher tollste?
Pascal: Wie bereits erwähnt sind das die Momente, in denen du dir kurz Zeit nimmst und das Treiben beobachtest. Oder wenn wir als OK-Team im Produktionsbüro zusammenkommen und kurz Zeit haben, um entspannt den Augenblick zu geniessen und das Publikum zu beobachten.
Nik: Bei mir sind es mehrere kleine Momente, wie TTNG, die mein Emo-Herz zum Bluten brachten. Aber auch die Dankbarkeit, welche man noch lange nach dem Festival von Bands oder Fans erhält – oder wenn man Leute an anderen Konzerten mit einem bergmal-Bag sieht!
Pascal: Sehr schön ist auch immer zu erleben, wie dich deine Freunde in deiner Arbeit unterstützen und selber daran Freude finden – und sogar über das Schichtende hinaus noch mithelfen, um beispielsweise die Luft aus allen Plastik-Walen rauszupressen oder um drei Uhr morgens eine Katze aus dem Dynamo zu jagen.
Jake: Für mich sind jedes Jahr die Fassadenprojektionen das Highlight. Dann habe ich immer Gänsehaut, weil ich weiss: Jetzt hat das Festival begonnen! Die Leute und Bands sind da, und ab jetzt kann man nur noch schauen, dass alles reibungslos abläuft.
Wie fand sich das OK zusammen, gemeinsam an einem Post-Rock-Konzert?
Jake: Die Idee zum bergmal trug ich seit 2013 mit mir herum. Ich dachte, nachdem ich bereits einige Shows im Dynamo veranstaltete hatte, dass ein Post-Rock-Festival toll wäre. Bisher fehlte das noch in der Schweizer Konzertlandschaft – und es müsste unbedingt unter einem Dach stattfinden … Pascal erfuhr dann über einen Freund davon.
Pascal: Genau, ein guter Freund von mir hat mit Jake zusammen Konzerte veranstaltet und erzählte mir von seiner Idee.
Nik: Ich kam erst dazu, als die Bands für die erste Ausgabe bereits festgelegt waren. Ich kannte Jake bis dahin auch nicht und kam via Booking-Kontakte und Konzertbesuche als Unterstützung ins Team.
Jake: Und Daniela kam gleich zu Beginn über eine Freundin zum Team, um uns bei allem zu unterstützen, was irgendwie mit Text zu tun hat. Zudem hat sie Projekterfahrung und denkt in alle Richtungen. Im Herbst 2015 konnte ich meine Idee so umsetzen – wohl nicht zuletzt auch, weil ich mit Leech gleich für die erste Ausgabe einen Traum-Headliner organisieren konnte.
Was ist denn Post-Rock genau, oder anders gesagt, was darf alles am bergmal auftreten?
Nik: Uns allen war von Anfang an wichtig, dass wir nicht nur typische 08/15-Bands des Genres buchen, die inzwischen alle kennen, wie etwa Explosions In The Sky, sondern auf Abwechslung setzen. Im ersten Jahr hatten wir viel Electronica, viele Beats, was wir mit H E X und Egopusher in diesem Jahr wieder aufgreifen. Den Gedanken von thisquietarmy in eurem Interview fand ich dazu sehr passend: Es braucht Mut. bergmal-Bands haben alle Mut!
Jake: Die Grundbasis bei Post-Rock ist ja nicht das rein Instrumentale, sondern die Einstellung, dass man sich als Musiker keine Grenzen setzt und die Philosophie des Neuen auslebt – und damit auch die Zuschauer herausfordert. Das kann von mathematischem Metal bis zu tanzbarer Electronica oder klassisch instrumentierten Rock-Bands mit Gesang alles Mögliche sein. Wir haben dieses Jahr bewusst Bands wie Jaga Jazzist gebucht, die das Spektrum nochmals ein gutes Stück weiter ausdehnen.
Gibt es noch Wunschbands, die ihr bisher nicht buchen konntet?
Nik: Das hört nie auf, da man auch jedes Jahr wieder neue Bands entdeckt. Gewisse Bands konnten wir mit „bergmal presents“ bringen, wie The Physics House Band im April. Das war last-minute, es kamen nur wenige Leute, aber es war grossartig.
Jake: Eine der grössten Wunschbands für mich wären The Evpatoria Report, doch leider weiss da niemand genau, ob die überhaupt noch existieren. Ansonsten versuchen wir natürlich anhand der Gegebenheiten – welche Bands sind auf Tour, wer veröffentlicht ein neues Album, was tut sich in der Schweiz? – eine Wunschliste zusammenzustellen. Meist haben dann eher zu wenig Platz für alle, lernen aber durch Bandbewerbungen auch immer viel Neues kennen – wie jeffk dieses Jahr.
Pascal: Einer meiner grössten Wunschkandidaten wären This Will Destroy You, auch weil sie zu meinen persönlichen Favoriten gehören. Das würde mich sehr glücklich machen!
Nik: Mich auch, da This Will Destroy You die erste Post-Rock-Band war, die ich live gesehen habe. Ich würde mir aber vor allem auch wünschen, dass grosse Bands oder ihr Management entscheiden, am bergmal mit einer kleineren Produktion aufzutreten. Das braucht natürlich noch seine Zeit. Gewisse Booker haben inzwischen unser Vorhaben verstanden und sehen die Chance für ihre Bands.
Wird es einmal eine bergmal-Hausband geben? Ihr seid schliesslich auch selbst musikalisch aktiv.
Jake: Ich denke nicht, dass das absehbar ist – aber so weit haben wir noch gar nie überlegt!
Nik: Es wäre bestimmt möglich, mit Ableton etwas zu basteln und dann dazu auf eine der bergmal-Bühnen zu stehen (alle lachen). Wenn wir jemanden hätten, der uns Songs schreiben und produzieren würde, würden wir es wohl schaffen.
Das ist also der offizielle Aufruf an alle Produzenten, die das Interview lesen. Etwas anderes: Fischt ihr denn all eure Wale aus der Limmat?
Pascal: Nein, wir bestellen sie bei Ali Baba (alle lachen).
Nik: Wir hatten damals diese lustige Idee zu einem Livestream – der Wal schwimmt in der Limmat. Das war sehr aufwändig und nützte nicht so viel.
Pascal: Wir hatten damals wohl zu wenig Freunde auf Facebook. Das Konzept mit diesem statischen Element hatte ich von einem Beatsteaks-Video, in dem man zwei Stunden lang gefilmte Yaks in einem Zoo sah. Also adaptierte ich dies mit einem Wal in der Limmat.
Ist eine vierte Auflage schon in Planung?
Jake: Wir sagen immer, wir schauen von Jahr zu Jahr. Es kann vieles schief gehen und das Team muss mitmachen – wobei ich mir dazu keine Sorgen mache. Meist bin ich am Veranstaltungstag selber immer sehr emotional und sage: „Ja, das machen wir unbedingt wieder.“ Ein paar Tage später kommen aber die Zweifel (alle lachen). Da wir alles neben unseren eigentlichen Jobs erledigen müssen, ist es jedes Jahr von Neuem wieder ein Abwägen.
Nik: Abgeneigt sind wir auf keinen Fall, aber dieses Jahr wird schon entscheidend sein. Leider dreht sich halt letztlich doch immer alles um das Geld – die Abrechnung nach dem Festival kann uns alle glücklich machen oder alles zerstören.
Pascal: Vor allem möchten wir auch gerne Reserven aufbauen, für ein grösseres Budget und teurere Bands zum Beispiel.
Jake: Uns war von Anfang an bewusst: Wenn wir dieses Schiff besteigen, wird es ein längerfristiges Engagement. Wir organisieren kein Mainstream-Festival, das sofort einschlägt – sondern eines, das Ausdauer, Investition und Zeit braucht.
Pascal: Ziel ist deshalb natürlich auch, einen Anlass zu schaffen, der auch ohne grosse Headliner Publikum anzieht – weil man weiss, dass man am bergmal neue Lieblingsbands entdecken kann, auch wenn man vielleicht keine Band auf dem Flyer kennt.
Vielen Dank für eure Zeit und weiterhin viel Erfolg.
Interview: Michael Bohli