Ventil Verlag / ISBN: 978-3-95575-220-0
Autor: Ingo Scheel / Illustrationen: Oliver Schmitt
Text: Torsten Sarfert
In „Schlussakkord“, dem ersten, äusserst vielversprechenden Buch vom deutschen (Musik-) Journalisten und Punk by Heart Ingo Scheel, erzählt dieser auf gut 200 Seiten und in dreissig kompakten und teils kuriosen Kurzbiografien unter besonderer Berücksichtigung der Todesumstände, von „für immer verstummten Musiklegenden“. Man möchte meinen, dass diese Geschichten von Legenden wie beispielsweise Brian Jones, John Lennon, Amy Winehouse und Janis Joplin hinlänglich bekannt seien. Zumindest dachte ich, dass wenigstens mir ein Grossteil davon geläufig wären.
Ingo Scheel belehrte mich jedoch mit maximal unterhaltsamen Schreibstil, fundiertem Hintergrundwissen und pointierten persönlichen Kommentaren, eines Besseren. Schlagzeilen wie „Marvin Gaye von eigenem Vater erschossen“ sind doch immer nur die Spitze des Eisbergs der Ereignisse, denen Scheel hier auf den Abgrund geht. Unter seiner Feder werden die morbiden Geschichten unserer Idole von ungefährlichem Halbwissen befreit, überraschen mit dem ein oder anderen Aha-Effekt und geraten ausserdem zu einem ungeahnten Lesevergnügen. Oder wusstest du, dass Bob Marley sein Krebsleiden (vergeblich) von und bei einem bayrischen, mutmasslichen ex-NS Quacksalber behandeln liess? Oder dass eine FBI Beteiligung am mysteriösen Dahinscheiden von Sam Cooke nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann? Ich nicht. Ingo Scheel gelingt mit seinen erlesenen und spannenden Schlussakkorden das Kunststück, Fakten und Spekulationen den nötigen Platz einzuräumen. Damit gibt er den Lesenden die Möglichkeit, sich selbst ein erhellendes Bild der dunklen Geschichten zu machen und diese einzuordnen.
Erwähnswert ist zudem auch die Auswahl der moribunden Musiklegenden: vom Punkjunkie Sid Vicious über Grunge-Legende Kurt Cobain, Produzentengenie Joe Meek bis hin zur Schlagerikone Alexandra, u.v.a., erstreckt sich das nicht immer leicht verdauliche (siehe Episode über GG Allin), dafür stets fesselnde Spektrum. Die monochromen Kreidezeichnungen von Oliver Schmitt runden den Gesamteindruck von Ingo Scheels rundum gelungenem Erstling zusätzlich kongenial ab.
Trotz vermeintlich düsterem Sujet muss das Buch mit dem Cover, von dem jeder Rockfan gern ein T-Shirt hätte, auch nicht bei Kerzenschein im Keller gelesen werden. Vielmehr weiss es auch (wie in des Rezensenten Fall) in der halbschattigen Hängematte zu fesseln.
Ich freue mich jedenfalls jetzt schon darauf, sollte Ingo Scheel – wie vorsichtig im Abspann angekündigt – weitere Schlussakkorde anstimmen.