Autor: AR/Gee Gleim
Herausgeber: Xaõ Seffcheque & Edmund Labonté
Titel: Geschichte wird gemacht
Verlag: Heyne Hardcore
ISBN: 978-3-453-27211-8
Dabei sein ist alles? Doch was bedeutet dies, dabei zu sein? Steht man daneben und schaut zu, oder mischt man aktiv mit, spornt an, formt um? Ein Umbruch oder eine spezifische Szene wahrzunehmen, das geschieht meist besser in der Retrospektive, besonders wenn sich der Wandel an diversen Orten manifestiert hatte. Mit dem Fotoband „Geschichte wird gemacht“ wird dieser Perspektivenwechsel ermöglicht, bietet das Buch von Fotograf Ar/Gee Gleim die Möglichkeit, den deutschen Untergrund der Achtzigerjahre neu wahrzunehmen.
Mit Fokus auf den Ratinger Hof in Düsseldorf und den damals auftretenden Bands der frisch entstandenen Punkszene zeigt der Bildband herrlich ungeschminkte Momente. In kernigen Schwarzweissaufnahmen und oft spontan wirkend, nah am Geschehen und mit der richtigen Menge Schmuddel. Es war eine andere Welt, als sich die Jugend zu den Klängen von den Toten Hosen, Fehlbaren, Östro 430 oder Family*5 bewegten. Unmut und fehlende Perspektiven entluden sich in lauter Musik, in Experimenten und einem Gefühl, das die Provinz zur Metropole umgestaltete.
Berlin und Hamburg, weit weg und nicht wichtiger als die Lokale, durch die sich Ar/Gee Gleim und seine Freunde bewegten. Das beweisen die zahlreichen Kurzessays, welche die Fotografien begleiten. Personen wie Christina Mohr, Miriam Spies, Peter Hein, Frank Spilker oder Hendrik Otremba lassen ohne falsche Nostalgie oder romantische Verklärung die lange vergangenen Jahre neu auferstehen – und bieten besonders für gleichaltrige Leserinnen und Leser einen reichen Fundus an Anekdoten und Überlegungen.
Und wer, wie ich zum Beispiel, damals noch zu jung oder nicht geboren war, der kann sich nebst den Bildern und Worte mit der beigelegte CD die Musik gleich ins Wohnzimmer zaubern. Eine frühe Aufnahme von den Ärzten, Andreas Dorau, Palais Schaumburg und mehr – da steht das Haar auf und die Klamotten erhalten Risse. Geschichte wurde gemacht, damals in den Kellern und kleinen Clubs, mit viel Energie und ohne falsche Motive.
Text: Michael Bohli