Irascible + BB Island Music / VÖ: 8. März 2024 / Indie, Pop
ellaronen.com
Text: David Spring
Erinnert sich noch jemand an das fragwürdige TV-Format The Voice of Switzerland? Daraus entstand, trotz ewig wirkender Spielzeit von ganzen zwei Staffeln, nicht viel Brauchbares. Doch gibt es immer auch Ausnahmen, wie zum Beispiel Ella Ronen. Die gebürtige Israelin, damals ansässig in Vevey, heute in Zürich, war eine der Kandidatinnen der ersten Staffel 2014 – im Team Stress (der Rapper, nicht die Emotion).
Schon damals fiel ihre gewaltige Stimme auf, doch konnte ein solch‘ poppig kommerzielles Fernsehspektakel einer derart talentierten und kreativen Künstlerin wie ihr niemals gerecht werden. Dies bewies sie spätestens 2021 mit ihrem fantastischen Werk «Motherland». Und nun steht uns mit «The Girl With No Skin» bereits das dritte Album bevor, bei dem die Sängerin ehrlicher, emotionaler und schonungsloser denn je zugange geht. Der Opener «Truth» beginnt zurückhaltend mit einer sanften Gitarrenmelodie, Bongos und Ronens gespenstisch schöner Stimme, bevor man unweigerlich in ihre Welt entführt wird.
Schnell wird klar, dass es sich hier um viel mehr als nur ein Pop-Album handelt. Der Text dieses ersten Songs behandelt ein sehr dunkles Kapitel aus dem Leben der Sängerin. «Undercover» lässt danach Erinnerungen an David Bowie und Leonard Cohen aufkommen. Das Piano, ein nostalgisch knatternder Bass und sanfte Hörner tragen den Song, während dem Ella Ronen eine clevere Geschichte über eine Spionin erzählt. Wie autobiographisch diese ist, bleibt bewusst offen. Mit «Fuck Cute» zeigt Ronen wiederum, dass sie auch aufdrehen kann. Der coole Indie-Rocker mit der simplen, aber umso wichtigeren Botschaft lehnt sich rebellisch gegen stereotype weibliche Zuschreibungen – wie süss, hübsch oder perfekt – auf und ist zweifellos eines der Highlights dieser abwechslungsreichen Platte.
Ella Ronen ist eine gewiefte Geschichtenerzählerin. Mit nur wenigen Worten malt sie mächtige Bilder und lässt ganze Filme vor unserem inneren Auge abspielen. Der Titeltrack etwa erzählt die Geschichte eines Mädchens, das ohne Haut geboren wird und sich so ohne klar definierten Umriss durchs Leben schlagen muss. Noch faszinierender ist der Closer «Rearview», bei dem uns die Sängerin mitnimmt, um ihre Grossmütter kennenzulernen. Beide erfuhren als Jüdinnen ihrerzeit Gewalt und Unterdrückung, flohen illegal aus ihrer Heimat, um dann ein Leben lang in der Ferne gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit anzukämpfen. Der eindrückliche Text und insbesondere die wiederholte Zeile «ask for forgiveness, not permission» schneiden sehr tief und lassen niemanden unberührt.
Es ist faszinierend, was Ella Ronen hier für ein Werk geschaffen hat. Von ihren Zeiten bei The Voice hat sie sich meilenweit entfernt. «The Girl With No Skin» ist ernsthaft und doch verspielt, bewegend und mitreissend, und doch auch versöhnlich. Die abwechslungsreichen Lieder, die tiefschürfenden Texte, vor allem aber die unglaubliche Stimme – nichts davon lässt kalt. So viel Musikalität, Emotion und Ehrlichkeit findet man in der hiesigen Musik nicht oft und noch so einige TV-Formate könnten sich von Ella Ronen eine gehörige Scheibe abschneiden. Wahrlich grossartig.