Play It Again Sam / VÖ: 23. September 2022 / Indie Rock, Post-Punk
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Text: Patricia Leuchtenberger
Was ist hier passiert? Zwischen Tom Smith (Sänger), Justin Lockey (Gitarre), Elliott Williams (Keyboard/Gitarre), Ed Lay (Drums) und Russell Leetch (Bass) darf sich der Produzent Blanck Mass aka Benjamin John Power als neues Mitglied der Editors glücklich schätzen. Ein Producer als Teil einer Band ist ungewöhnlich. Und das neue Werk der Editors besteht aus gleich zwei Akronymen; Editors + Blanck Mass sowie der Abkürzung des Genres Electronic Body Music, welches in den 1980ern mit Front 242 und DAF würdevoll vertreten wurde und Einflüsse in sämtliche Goth-Rock und Dark-Wave Formationen wie Joy Division, später New Order und Bauhaus weiter gab. Und natürlich ist auf „EBM“ der EBM deutlich rauszuhören. Die Idee für ein EBM-Album hatte Power, nicht die Band; somit gaben sie den Song-Baukasten auf dieser Platte komplett in seine Hände, während die Lyrics wie gewohnt von Smith kommen und den Tracks eine wohltuende Wärme in der synthetisch harten Klangkulisse geben.
Doch spulen wir zum Anfang zurück: Ihr Debüt „The Back Room“ katapultierte die Editors (damals noch in anderer Zusammensetzung) in England Anfang der 2000er auf die Spitze der Charts. Damals spielten sie typischen Gitarren-lastigen Indie-Rock mit Goth-Färbung, berüchtigt auch für atemberaubend intensive Konzerte. Gleichzeitig spielten sie für R.E.M und The Cure als Support Stadions in Stimmung, bis sie selbst nach wenigen Jahren und ihrem zweiten Nummer-1 Follow-Up „An End Has A Start“ die Wembley Arena selbst füllen konnten und mit der Bekanntheit internationalen Zuspruch erlangten.
Ihr kometenhafter Aufstieg innerhalb der britischen Rock-Szene, in der es gar nicht mal so leicht ist, eine solche Alleinstellung zu beanspruchen, ist auch dem geschuldet, dass die Editors immer gerühmte Produzenten an ihrer Seite hatten: Vor dieser Industrial-Ära mit Blanck Mass war es Flood, der schon mit New Order und U2 zusammenarbeitete und die Band nach ihrem akustischen Debüt erstmals auf den Geschmack auf Synthesizern kommen ließ, welcher sich weniger in experimentellen Tracks und mehr in elektrisierenden Stadion-Bangern äußerte.
Dieser Kritik haben sich die Engländer auf „EBM“ entzogen: Niemand kann hier sagen, es wäre nichts Ganzes und nichts Halbes. Stringent und bemüht zeichnet sich die musikalische Evolution der Editors nicht zurückhaltend und zittrig wie in den elektronisch beeinflussten Vorgänger-Platten „Violence“ und „In Dreams„, sondern full-on in jedem der langatmigen acht Stücke ab. In „Silence“ klingt Depeche Mode stark hervor, „Karma Climb“ erinnert an New Order und zwischen den beiden Extremen hängen „Vibe“, „Kiss“ und „Strawberry Lemonade“ in der Luft herum, die, wie für EBM-Songs üblich, oft über die fünf-Minuten-Marke schlagen.
Die Filler Tracks schwanken zwischen Synth-Pop, hämmernden Techno-Beats, poppig schnulzigen Melodien und schweren E-Gitarren Soli, doch diese Soundkulisse ist insgesamt kontinuierlich, schlüssig und macht Spaß. Naja, zumindest wenn man auf den lauten EBM, schummerigen Dark-Wave der 80er mit melodischen Loops und Refrains steht; doch eine wirre Mischung, bei der letztendlich jeder Song gleichzeitig ohne eine Pause zum letzten Takt vollgepackt (zum Beispiel mit einem irritierenden Piano unter Regenplätschern in „Kiss“), allerdings relativ simpel in ihrem Soundmodell und der Struktur gehalten ist.
Ein Album, welches bewirken soll, wie Frontmann Tom Smith sagt, dass man jeden Gedanken und sich selbst verliert, aber trotzdem klanglich „in your face“ knallen soll. Ein Zwiespalt, der einen zuletzt im Zwiespalt gefangen hält. Diese andauernde schludernde Gradwanderung zwischen Eskapismus und Konfrontation lässt mich nach knapp 52 Minuten erschöpft zurück; doch mein Gedankentürme verschwanden die meiste Zeit davon trotzdem. Aber eben auch meine unberührte Emotionalität.