Siluh Records / VÖ: 17. November 2023 / Indie, Post-Punk
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Text: Michael Messerli
Was wir heute tun und was wir heute unterlassen, wirft einen Schatten auf künftige Generationen. Das war schon immer so. Aber im Wissen darum, was zu tun und was zu lassen wäre, liegt die Verantwortung. Wir müssen nicht auf die Zukunft warten, bis deutlich wird, was heute alles schiefläuft. Es gibt schon längst viele Menschen in unserer globalen Gemeinschaft, die keine Perspektive haben, die Hunger, Krieg, Tod und Krise erleben. Der Punkt ist, dass das nichts mit der Zukunft zu tun hat, sondern mit der Gegenwart – und auch mit der Vergangenheit. Nur schien uns das über Jahrzehnte hinweg nicht zu betreffen. Hier wird bereits in der Anlage klar, um was es hierzulande einigen Leuten bei der Solidarität geht: Kümmere dich um die, die dir am nächsten stehen – und damit indirekt um dich selber. Wenn wir also von künftigen Generationen sprechen, dann meistens von unseren eigenen Kindern. Die Kinder der «Generation Maximum».
Sophie Löw – ihres Zeichens Sängerin und Texterin von Culk – schaut auf die letzten 23 Jahre zurück und gehört womöglich zu dieser Generation. Aufgewachsen in einer Welt voll Überfluss, Wohlstand und Multioptionen. In die Irre geführt von technologischem Fortschritt und seelischem Rückschritt, von sozialen Medien, die uns nachweislich nicht guttun und doch von uns allen permanent genutzt werden. Es regiere die kollektive Hoffnungslosigkeit. Der nie enden wollende Newsletter. Der Liveticker zum Untergang. Aber Alarmismus will niemand – deshalb regiert wohl eher die kollektive Vermeidung kognitiver Dissonanz. Dass andernorts schon seit jeher viele junge Menschen weder Hoffnung noch Perspektive haben, blenden wir dabei gerne aus. Die Multikrisen waren schon immer da. Nur rücken sie uns jetzt viel näher auf die Pelle.
Und so heisst es dann «Willkommen in der Hedonie». Mit schwerer Zunge, einem Bass als Herzschlag und untergründigen Gitarren, in lichtarmen Ecken, nur erhellt durch das hoffnungsfrohe Feiern von früher: «Ein neues Jahrtausend bewundert durch ein Feuerwerk». Damals, auf dem Zenit der Sorglosigkeit. Jetzt aber flutet uns die Leere und es scheint auch keine Wahrheit mehr zu geben, keine Fakten. Nur noch Interpretationen. «Wenn nichts mehr richtig oder falsch ist». Wahr scheint letztlich nur noch das, was gerade passiert – aber nicht mehr das Warum. Deshalb wiegt der Blick in die Vergangenheit und in die Zukunft so schwer. «Wir werden träumen bis wir glauben». Und so stecken wir lieber Zeit und Energie in künstliche Intelligenz, lenken uns damit ab von den Dingen, von denen Culk hier grossartig und verwaschen singen. Weil sie unangenehm sind. Dabei ist die Musik der Wiener Band das Gegenteil davon und unbedingt hörenswert. «Wer hinsieht, wird vor Tränen nicht mehr sehen/ Wir können nicht nur mehr danebenstehen». Aber die meisten wollen ja nicht hinsehen. Sei es aus Ignoranz – oder aus unbegründetem Optimismus. «Je lauter das Verstummen/ Desto grösser die Explosionen».