Der gesunde Menschenversand / VÖ: 16. Februar 2024 / Pop, Indie
cruiseshipmisery.net
Text: David Spring
Manche Artists kreieren einen Song scheinbar ohne viel Aufwand. Ein paar Beats in den Computer schaufeln, einmal für ein passendes Thema durch die Zeitung blättern und vielleicht noch durch den Thesaurus – et voilà: Kommerzquatsch. Zum Glück gibt es auch Künstler:innen, die sich wirklich Mühe geben und unglaublich viel Liebe und Passion in ihre Projekte stecken, egal, wie bizarr diese vielleicht anmuten. Ein gutes Beispiel dafür ist Cruise Ship Misery, ein Spoken-Pop-Duo aus der Region Bern, das nun mit «Brutto Inland Netto Super Clean» das zweite Album am Start hat.
Cruise Ship Misery, das sind die Sängerin Milena Krstić (aka Milena Patagônia) und Autorin Sarah Elena Müller. 2019 brachten die beiden mit «Urteil» ihr Debüt unter die Leut. Es folgte ein Roman von Müller («Bild ohne Mädchen») sowie ein Film von Krstić («Kapi padaju po betonu») und nun endlich das zweite Werk. Und nein, hierbei handelt es sich mitnichten um ein simples Album. Klar, man kann die sieben Songs problemlos auf Bandcamp erstehen und sich den kreativen Synth-Pop mit den mal tiefschürfenden, mal dadaistischen Mundart-Texten einfach so auf die Ohren ballern. Aber das ist nur die halbe Geschichte.
Denn genauso ausgefallen wie der Albumtitel, ist auch der physische Release – kommt «Brutto Inland Netto Super Clean» doch mit einem begleitenden Buch, in dem neben den Songtexten auch zu jedem Track eine Kurzgeschichte aus der Feder Müllers sowie eine eigens von Künstler Luca Schenardi angefertigte Illustration zu finden sind. Die Songs funktionieren gut als Indie-Popnummern mit viel Tiefgang, doch die abenteuerlichen Designs und die eher düster bis hoffnungslos anmutenden Geschichten verleihen dem Ganzen eine vorzügliche, dezidiert surreale Note.
Das Album besteht aus sieben Kapiteln, die von überzogenen, aber durchaus realen Gestalten erzählen sowie den physischen und mentalen Gefangenschaften, die das Leben so bereithält. Die Musik von Cruise Ship Misery reicht dabei von gemütlichem Lounge-Pop («Dini Meinig» oder «Bestätigung») bis hin zu ziemlich harten Electro-Beats («Brutto», «Dr letschti Ort»). Kleine, musikalische Spielereien lockern die Kompositionen auf und natürlich schwebt über allem der melodiöse, eindringliche Gesang. Das sympathische Bärndütsch und die oft bewusst süssliche Stimme stehen dabei wundervoll im Kontrast mit den teilweise ernüchternd harten Texten.
An dieser Stelle könnte nun noch viel über Inhalte, künstlerischen Anspruch oder den Stand von FLINTA*-Musiker:innen in der Schweiz schwadroniert werden. Doch würde das einem faszinierenden Projekt wie Cruise Ship Misery niemals gerecht. Viel zu clever, vielschichtig und faszinierend ist die Musik und das Gesamtkunstwerk dieser Band. Es besteht darum schlicht eine unbedingte Hör-, Lese- und Kaufempfehlung. Was Cruise Ship Misery mit «Brutto Inland Netto Super Clean» geschaffen haben, ist eigenwillig, aufwühlend, kritisch, tiefgründig und letzten Endes unglaublich gut. Ein wahres Kleinod der Schweizer Kultur.