Saddest Factory Records / VÖ: 14. Juli 2023 / Indie
claud.online
Text: David Spring
Es gehört zum guten Ton vieler musikschaffender Menschen, die Anfänge auf beinahe unspielbaren Instrumenten zu machen. Doch manche brauchen diese Herausforderung auch dann noch, wenn die Karriere schon angelaufen ist und man auf den eigenen Instrumenten niemandem mehr was beweisen muss. Claud aus Chicago zum Beispiel tat es sich nach dem überaus erfolgreichen Debüt «Super-Monster» in 2021 an, den Nachfolger «Supermodels» auf einer unstimmbaren Gitarre und einem noch viel kaputteren Klavier zu schreiben.
Zum Glück hört man das den grossartigen Songs nicht an. Die Musik von Claud kann oberflächlich als Indie Pop zusammengefasst werden, doch scheint das etwas einfach. Der Opener «Crumbs» ist ein intimes Liedchen, das nur von einer Gitarre begleitet vor allem die sympathische Stimme in den Vordergrund stellt und angenehm in die Platte einleitet. «Dirt» danach schlägt andere Saiten an, ein knackig, rumpliger Bass und knallende Drums erzeugen ordentlich Drive. Doch sind es vor allem die Hooks, mit denen Claud zu überzeugen weiss. They hat ein beeindruckends Fingerspitzengefühl für eingängige Melodien, die sofort im Ohr hängenbleiben und dabei das wohlige Gefühl vermitteln, gesehen und verstanden zu werden.
Die Songs sind klar im Pop all der grossen Stars und Sternchen verankert. Das fantastische «Every Fucking Time» etwa lehnt sich, ganz Generation TikTok, erstmal schamlos in Richtung «Wonderwall», bevor Claud uns mit einer traumhaften Melodie und vor allem einem sympathischen, sehr persönlichen Text um den Finger wickelt. Die Lyrics sind genauso stark wie die Musik. Sie lesen sich wie Tagebucheinträge und geben Einblick in die turbulente Welt eines jungen, nicht-binären Menschen, der in der heutigen, verwirrenden Welt versucht, sich zurechtzufinden. Da ist viel Wut, Unsicherheit, Traurigkeit und auch eine gehörige Portion Humor vorhanden. Vor allem aber machen die mal aufgebrachten, mal nachdenklichen Worte Mut, wenn man vielleicht selbst nicht immer mit allem klarkommt.
Claud scheut nicht davor, sich musikalisch auszutoben. «Wet» bedient sich vieler Elemente des 90s Synth-Pops, das hervorragende «Glass Wall» wiederum lehnt sich mit verzerrter Gitarre und rotzigem Gesang weit in Richtung Grunge. «Supermodels» ist ein vorzügliches Album, das die Auf und Abs der kommenden Generation von aufgeweckten, queeren und lauten Musiker:innen wundervoll beschreibt. Claud hat ein tolles Werk geschaffen, in welches es sich lohnt, einzutauchen. So viel Talent und Ehrlichkeit tun gut, erst recht, wenn das Resultat unprätentiös tolle Musik ist.