Domino Records / VÖ: 14. Januar 2o22 / Indie Pop, Folk, Singer-Songwriter
catpowermusic.com
Text: David Kilchoer
Als Chan Marshall aka Cat Power Mitte 2021 durch die Pforten des Mant Sound Studios auf Manhattan ging, waren ihre Absichten eigentlich klar. Sie hatte eine Band und ein paar neue Songs im Gepäck. Ein neues Album mit Eigenkompositionen sollte entstehen – doch dann kam alles anders, wie der Titel ihres neuen Albums suggeriert.
Um ihre Leute an den Instrumenten einzugrooven und ein allgemeines Wohlbefinden zu kreieren, begann sie auf ein paar Akkordfolgen herumzuspielen. Die andern sollten sich hinzuimprovisieren. Aus der Jam-Session wurde ein ganzer Tag der Improvisation und aus den Improvisationen entstanden vier Songs.
Sie hatte während der Improvisation keine Ahnung, was sie dazu singen sollte, keine Melodie, keinen Text. Dennoch öffnete sie die Gesangsbox im Studio, stellte sich ans Mikrofon, rief den Musikerinnen und Musikern zu, sie sollten einfach weitermachen. Und dann machte sie spontan ein Cover aus dem von der Band gespielten Klanggerüst.
Für Cat Power ist das Covern von Songs nichts Aussergewöhnliches, ihre frühen Alben waren stets Mischformen aus Eigenkompositionen und Covers – hinzu kommen bislang zwei volle Cover-Alben. Jetzt liegt Nummer drei vor, und das steht den in der Fachpresse gepriesenen Vorgängern in nichts nach.
Denn ihre Herangehensweise schafft aus dem bestehenden Material anderer Künstler neue eigene Songs. Beispielsweise aus «A Pair Of Brown Eyes» von The Pogues. Der irish-folkige Tanzwalzer mit Shane McGowans reingegröltem Stimmbrett ist bei Cat Power eine nahezu arythmische Vokalballade, lediglich unterlegt von einem schummrigen Mellotron.
Billie Holidays schmachtende Jazz-Ballade „I’ll be Seeing You“ voller Bläser und Streicher kommt bei Cat Power als schlichtes Singer-Songwriter-Stück daher. Den Boden gibt eine gezupfte cleane E-Gitarre, ein Piano sprenkelt kleine Klangtröpfchen zwischen die Gesangslinie.
Kitty Wells’ Country-Kitsch-Nummer «It Wasn’t God Who Made Honky Tonk Angels” von 1952 fällt in Cat Powers grosser Song-Sanierungs-Orgie aus dem Rahmen. Zwar gibt sie dem Klassiker mit Walking Bass und Fingerschnippser schon einen etwas anderen Twist, doch dann greift sie dennoch auf eine glitzernde Country-Gitarre zurück und belässt den Song in seinem alten Glanz.
Das hat mit Respekt zu tun. Kitty Wells war die erste Solo-Sängerin, die in den amerikanischen Charts einen Nummer-Eins-Hit platzieren konnte. Der Text des Songs ist die Antwort auf die Aussage eines anderen Songs («The Wild Side Of Life»), in dem sich ein Mann pauschal über untreue Frauen beklagt. Kitty Wells schoss auf die Beschuldigung zurück, dass fast jeder untreuen Frau ein untreuer Mann vorherging.
Die Tatsache, dass Cat Power diesen Song 70 Jahre später aufkocht und seine Relevanz auch heute noch zu pointieren weiss, zeigt, dass sich die Gesellschaft in Bezug auf die Geschlechterrollen nur schleppend entwickelt. Das macht die Sängerin zornig.
Zorniger, als sie es gerne wäre. Deshalb setzt sie Frank Oceans «Bad Religion» an den Anfang des Albums – wobei man das kaum merkt. Denn die Melodie des Covers klingt fast wie Cat Powers eigene Komposition «Wanderer», eine Zorneshymne an den «White Old Man». Sie sei beim Singen des eigenen Songs je länger desto zorniger geworden, berichtete sie in einem Interview. Und so habe sie den Song kurzerhand mit Oceans «Bad Religion» vermengt. Der ist auch zornig, aber in einer Weise, die sie weniger direkt betrifft (es geht um einen homosexuellen Mann, der seine Liebe aus religiösen Gründen nicht ausleben kann).
So stellt sie entscheidet sie sich von Beginn weg, welche Art von Zorn sie verfolgen will. Es ist eine Wut voller Weltschmerz, eine heilige Wut – und die funktioniert zugleich als Selbstschutz. Man kann auch in die Zeilen anderer Menschen Inbrunst legen. Sie tut einem selber aber ein bisschen weniger weh.