Band: Caribou
Album: Suddenly
Genre: Electro / Indie
Label: City Slang
VÖ: 28. Februar 2020
Webseite: caribou.fm
Dank Caribou und seinem letzten Album „Our Love“ hab ich 2014 meinen älteren Plattenspieler in die Revision gebracht, welche – neue Nadel, Einstellung und so fort – ein vielfaches mehr als das Gerät gekostet hatte. Es ist kein schlechter Plattenspieler, es war an der Zeit und hat sich durchaus gelohnt. Nicht, dass die Platte danach anders getönt hätte als zuvor (ein wenig klarer vielleicht, dank der neuen Nadel), aber ich konnte mir nach dem grossen Service sicher sein, dass die Scheibe so klingen muss. Die Pitchänderungen in den Songs gehören so. Es war nicht der Plattenteller, die Unregelmässigkeiten und Geschwindigkeitsänderungen gehörten damals auf „Our Love“, wie heute auf dem neuen Album „Suddenly“ zu Caribou.
Was, 2014? Das scheint eine Ewigkeit her zu sein und doch war es nebst Bonobo Caribou, der mich mit Synthesizern und Rythm-Machines sozialisiert hat. Davor galt für mich: Keine Gitarre = keine richtige Musik. Manchmal dauern die Prozesse ein wenig, oder man braucht die richtige Person, die einen geduldig heranführt.
Der aktuelle, fast aus dem Nichts aufgetauchte Langspieler des Kanadiers ist wieder eine Melange aus verschiedensten Stilen, mal wiederholend, mal abrupt, ein Zusammenschnitt aus Ideen, Visionen und Hunderten von Soundschnipseln. Es seien über 900, zu jeder Tages- und Nachtzeit verarbeitete Gedanken, Ideen, Gefühle, intuitive und intime Fragmente, die auf „Suddenly“ zusammengekommen sind.
Was „Our Love“ über die Liebe war, ist „Suddenly“ über die Familie und die Liebe zu ebendieser, die sich schon im ersten Song „Sister“ als ein wunderschönes Gutenachtlied zeigt. Um ohne Unterbruch in „You and I“ überzugehen, Post-EDM im Half-Tempo-Groove! Yay! „Home“ fährt fast funkig auf, „Lime“ ist Easy Listening und unglaublich dancy. Ja, Caribou hat die Vocal-Effects, und vor allem den Harmonizer für sich entdeckt, diesen aber aufs Wesentliche reduziert.
„Never Come Back“ schliesst direkt an die Neunziger an, der Groove treibt, die Introstimme ist verzerrt. Dieser Song könnte sich durchaus zu einem Dance-Knüller auf Partys mausern. Fesselnd die Wechsel zwischen treibendem Rhythmus und den Klavierzwischenspielen, da vertippt man sich fast.
Die zu Beginn erwähnten Pitchwechsel gibt es natürlich auch auf „Suddenly“ immer wieder. Vielleicht sind diese eine versteckte Botschaft des Mathematikers Dan Snaith, die statistisch richtig analysiert die Zauberformel für die Weltherrschaft enthalten. Oder nein, es muss die Zauberformel der Liebe sein. Vielleicht ist es auch nur die Freude an zusammengeknüllten Tapes, die rückwärts gespielt werden, oder diejenige des Experimentierens mit allen Knöpfen dieser Welt. „Magpie“? Mein Plattenspieler ist definitiv in Ordnung. Es sind all die schönen, altmodischen Klänge, die man selbst aus einem Synth zaubern möchte, all die Spielereien, an denen man rumbastelt. Keine überrollende Wand, nicht der Wahnsinnston, sondern ein schöner Klang, eine schöne Arpeggiatur, an der man sich erfreut. Die mit netten alten Groovemachines und einem tiefgründigen Text zu etwas wunderschönem zusammenwächst.
Songs wie „Ravi“: Bass Drum, viel Hi-Hat, Snare, etwas Fläche und einen gesampelten Text. Mit viel Effekt. Etwass Glitzer in den Breaks und an den Tone-Reglern herumgeschraubt – so was von Oldschool-Techno. So straight. So unglaublich gut, so wie es halt sein muss! Aber „Suddenly“ ist nicht nur Partymusik, um Himmels Willen. Es muss nicht alles zugänglich sein und die Musik von Caribou eröffnet sich nicht beim ersten Durchhören. Das Album ist eine Strasse mit vielen Kurven und unzähligen Abzweigungen zur Fragilität und Zärtlichkeit. Und spätestens die 50 Sekunden von „Filtered Grand Piano“ zeigen das.
Morgen ist es soweit, da werde ich das Vinyl in den Händen halten. Ich freu mich drauf und ich weiss, dass sich die Revision des Plattenspielers gelohnt hat, denn er wird diese LP noch oft spielen müssen. Und das Konzert von Caribou am 26. April im Kaufleuten Zürich ist definitiv gesetzt. „Dance like you’ve got ants in your pants.“
Tracklist:
1. Sister
2. You and I
3. Sunny’s Time
4. New Jade
5. Home
6. Lime
7. Never Come Back
8. Filtered Grand Piano
9. Like I Loved You
10. Magpie
11. Ravi
12. Cloud Song
Bandmitglieder:
Daniel Victor Snaith
Gründung:
2005
Text: Mischa Castiglioni