Flail Records / VÖ: 12. Juli 2024 / Gothic Folk
The Bridge City Sinners
Text: Torsten Sarfert
„Agony / Seems to follow me / Why won’t it let me be / Dragging me down“. Mit diesen düsteren Zeilen der ersten Single „Break The Chain“, beginnen The Bridge City Sinners ihren vierten Longplayer „In The Age Of Doubt“ und zementieren damit eindrucksvoll ihren Ruf als einer der heissesten Acts des Gothic/Dark Folk. Oder wie sie ihr Genre selbst gerne nennen: Appalachian Death Folk.
Das wie die Vorgänger ausschliesslich akustisch eingespielte Album packt einen bereits bei den ersten schwindelerregenden Akkordfolgen von Gitarrist Clyde McGee schraubstockartig an den ungläubigen Gehörknöchelchen. Dazu laufen kalte Schauer über Rücken und Rest, wenn Sängerin und Shouterin Libby Lux sukzessive ihr Organ entfesselt und sich mit Teufelsgeiger Lightning Luke in einen geradezu diabolischen Swing schraubt. Damit nicht genug, öffnen ein paar Calexico-eske Mariachi-Trompeten den ganz grossen Vorhang, der über die kommenden knapp 40 Minuten Spielzeit nicht mehr zugehen wird. Schon nach dem grandiosen Opener braucht man jedoch erstmal eine kleine Pause, um das eben Gehörte zu verarbeiten und sacken zu lassen. Also entführen uns die fünf ehemaligen Strassenmusiker aus Portland/Oregon auf einen kleinen instrumentalen „Port Street Strut“, welcher direkt in den Song „Midnight To Vice“ übergeht, der wiederum aus einem der unzähligen verruchten Strip-Clubs kommen könnte, für die Portland landesweit berühmt-berüchtigt ist. Vermutlich diente ein solcher Club auch dem Song „Sinner’s Saloon“ als Inspiration und darüber hinaus Lightning Luke als Motivation, dermassen in die Tasten seines Honkytonk-Pianos zu hauen, als wolle er sich von all seinen Sünden freispielen.
Überhaupt klingen The Bridge City Sinners wie ziemlich aus der Zeit gefallen, aber irgendwie auch wieder nicht. Die traditionelle und fast anachronistisch anmutende Bluegrass-String-Instrumentierung Banjo, Fiddle, Mandoline, Gitarre, Resonatorgitarre und Doublebass steht in krassem Gegensatz zu textlichen Inhalten, die sich fast ausnahmslos um Ängste, Abgründe der Seele („Doubt“, „Crazy“) oder eine zunehmend verrückter werdende Welt („Eye For An Eye“, „Shame“) drehen. Oder einfach nur um einen fetten Spliff, der beim Einschlafen hilft („Heavy“).
Die charismatische, grossflächig tätowierte Frontfrau und überzeugte Veganerin Libby Lux ist klar das Zentrum der Sünder*innen aus der Brückenstadt. Sie singt, trällert, jauchzt, juchzt und schreit sich ihre Dämonen vom Leibe, dass es trotz düsteren Themen eine wahre Freude ist. Eine Freude sind auch die Songs und deren Arrangements, die klingen als wären sie allesamt liebgewonnene Klassiker aus vergangenen Zeiten. Versehen mit Texten von eben kontemporärer Relevanz, schaffen es The Bridge City Sinners das zuweilen angestaubte Bluegrass-Genre komplett von jeglicher Patina zu befreien und ihm die rotzig-punkige Note (zurück-) zu geben, weswegen es in den 1930er Jahren zum wahrscheinlich wichtigsten (Sub-)Genre US-amerikanischer Volksmusik wurde.
Ein Album für moderne Traditionalisten mit wunderbaren Harmonien, unbändiger Spielfreude und Musiker:innen, die genau wissen, was und wie sie es tun. Noch dazu in punkiger Professionalität.