Invada Records / VÖ: 13. Januar 2023 / Pop, Post-Punk
iambillynomates.com
Text: Michael Messerli
Sängerin sucht Band in der Region Bristol. «Cacti» ist ihr Inserat. Bereits das zweite. Zur Not macht Tor Maries halt vorerst alleine weiter, das klappt unter dem Pseudonym Billy Nomates schliesslich ganz ausgezeichnet. Nur fürs Album-Cover sollte sie sich das nächste Mal Hilfe holen. Aber das ist ein Detail. Der Weg bis «Cacti» hingegen war nie eine Frage von Details, sondern eher von existentiellen Dingen. Tor Maries gab die Musik auf, weil sie nie auf deren Gästeliste stand – geschweige denn auf der Bühne. Sie landete in diversen Sackgassen, letztlich auch in einer Depression und fand dann trotzdem zurück. Auch dank den Sleaford Mods.
Zurückfinden musste man auch besonders in Grossbritannien wieder nach dem Lockdown. Es blieb mit ihrem selbstbetitelten Debüt im Jahr 2020 also schwierig und ein «back to normal» schien eigentlich unsinnig. «I dream of shutdowns now», singt sie in «Blackout Signal». Damit spricht sie auch eine verpasste Chance an, wirklich etwas aus dieser Zeit zu lernen und zu verändern. Billy Nomates nennt die Dinge beim Namen und redet nicht um den heissen Brei. Das macht «Cacti» zu weit mehr als nur synthetische Laptop-Musik, Tor Maries ist Multi-Instrumentalistin und Billy Nomates ist ein Paradebeispiel für «do it yourself». So tanzt sie auch unkoordiniert alleine auf der Bühne und so stehen ihre tolle Stimme sowie die Texte im Vordergrund.
Diese waren auf dem Debüt noch eine Spur bissiger, der Gesang variierte anders und war näher an Amy Taylor oder eben an den Sleaford Mods. Damals äffte sie grandios die Früher-war-alles-besser-Typen nach: «Back in my days/ I had nothing/ We lived in happy misery». Desillusion allenthalben. Heute ist sie die Zukunft. Und «Cacti» ihre persönliche aber nein, rosig sieht diese auch nicht aus («Balance Is Gone»). Texte wie «Black Curtains In The Bag» sind so gelungen, dass sie den ganzen Song tragen. Vor allem, weil Tor Maries sie so gekonnt singt. Das führt in Songs wie «Blue Bones (Deathwish)» zur kuriosen Situation, dass Zeilen wie «But death don’t turn me on like he used to» wie ein lebensbejahender Pop-Hit-Refrain klingen.
Spätestens hier zeigt sich, was Billy Nomates alles kann. Man sollte also nicht den Fehler machen, «Cacti» nach dem ersten Hördurchgang wegen seiner synthielastigen Grundstruktur zu unterschätzen. Es gibt viel zu entdecken. Da wäre das traurigschöne «Saboteur Forcefield», das knarzende «Roundabout Sadness», das selbstbestimmte «Spite» oder der bittersüsse Schlusspunkt «Blackout Signal». Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Mauern plötzlich fallen oder die Blasen platzen: «When you know that nothing’s real». Eine der besten Fragen, die man in einer Zeit der Krisen stellen kann.