23. März 2019
Gaswerk – Winterthur
Bands: Xiu Xiu / Strotter Inst.
Für einmal wurde nichts verstellt, die Ideologien nicht mit den Samthandschuhen angefasst. Was die Seelen der Anwesenden vielleicht gerne gehabt hätten, dass sie zärtlich und liebevoll berührt würden, das galt nicht für falsche Symbolik und verlogene Ausdrucksarten. Mit Instrumenten und Körpern wurde gegen die Engstirnigkeit geschlagen, so, dass jeder Treffer Scherben hinterliess. Blutende Schrammen verteilte die Musik von Xiu Xiu immer, die Konzerte noch mehr. Das durfte ich nicht nur vor zwei Jahren in Bern erfahren, das beweist bereits ein kurzer Rundgang durch Aufnahmen bei Youtube. Jamie Stewart aus Amerika will sich nicht anders geben als er ist, damit musste man auch in Winterthur klarkommen.
Zwischen vielen Schweissperlen und dem enganliegenden, schwarzen T-Shirt gelangten verzweifelte Schreie, laute Ausrufe und geflüsterte Wahnvorstellungen an die Oberfläche. Als Frontmann von Xiu Xiu ist Stewart kein Sänger, sondern eine Verkörperung aller Schwierigkeiten und Ungerechtigkeiten, die einem im gesellschaftlichen System widerfahren können. Ein Auftritt dieser Band, welche sich auf der Tour zum neuen Album „Girl With Basket Of Fruit“ zu dritt auf der Bühne zeigte, ist immer eine Versammlung von Individuen und Einzelgängern. Was sonst im Alltag mit Missgunst und Feinseligkeit angegangen wird, und sei es auch nur die andersartige Hose oder Frisur, das verschwand im Gaswerk in der Menge der Wahrheit.
Schrille Töne aus einzelnen Blasutensilien, brutal verzerrte Basssaiten und ein perkussives Feuer zwischen Trommeln und Xylophon – Lieder waren Ausstellungsstücke einer grossen Show der schwarzen Abgründe. Kuratiert von Xiu Xiu und ohne Hemmungen auf die Anwesenden losgelassen, zwischen Noise-Rock, Avantgarde und experimentellem Post-Punk. Da war ein Lied vollendet, wenn es jegliche Ketten abgeworfen hatte, nicht wenn der Refrain vier Mal wiederholt wurde. Durch die oft fehlende Elektronik zeigten sich sogar Hits wie „Hi“ als brummelnde Schreckgespenster, ohne Erlösung oder Ziel.
Darum ging es bei diesem Projekt aber nie, sondern um die Brutalität der Existenz, dargeboten in vollendeter Wahrheit. „Support Our Troops OH!“ wollte sich darum der Aktualität nicht entledigen, neue Lieder wie „Scisssssssors“ bohren tief in unsere kollektiven Wunden und nutzen ihren Namen zugleich als Klangobjekt. Ja, so zugänglich wie bei „Forget“ ist nichts mehr an Xiu Xiu, dafür ist die Musik nun an dem Punkt angekommen, an den sie immer hinwollte: Der Kern des existenziellen Wahns. Und gemeinsam mit diesen Künstlern verstehen wir unsere Umgebung vielleicht nicht besser, aber wir sehen einen Ausweg.
Technischer war der Auftakt mit Strotter Inst., einem Künstler aus der Schweiz, der mit umgebauten Plattenspielern und veränderten Vinylscheiben Improvisationen herbeiführte, welche nicht nur bei jedem Auftritt anders ausfallen, sondern die magnetische Klangerfassung in neue Richtungen zogen. Beats wurden mit metallenen Kugeln generiert, einzelne Loops zu stark verzerrten Ansätzen von Melodien. Ja, das „Inst.“ im Namen steht auch für Installation, denn dieser Auftritt war mehr als nur Musik, er war eine Performance mit Maschinen, welche man so noch selten in Verwendung sah. Inklusive des lakonischen Umgangs mit dem Kultobjekt Vinyl, erweitert, neu erdacht und aufregend.
Text: Michael Bohli