17. August 2018
Steinberggasse – Winterthur
Bands: Beginner / Tocotronic / Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi
Gleich mit dem Hit „Ahnma“ in das Konzert einzusteigen und mit voller Wucht und extremer Energie das Fest in der Steinberggasse an sich zu reissen – ja, das setzt schon einen gewissen Mumm voraus. Aber bei Beginner schwang dieser Übermut schon seit der Gründung 1991 mit und hat bis zu diesem Konzert an den Winterthurer Musikfestwochen nicht nachgelassen. Da wippte das „Ausverkauft“-Schild fröhlich im Takt mit und die erhobenen Hände fegten auch noch die letzten Tropfen aus dem Himmel. Ein ausgelassener Abend fand somit sein passendes Ende, denn an diesen Themenkonzerten lagen sich die Schweizer Besucher und deutschen Bands von Beginn an in den Armen.
Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi fackelten nicht lange rum und eröffneten den Reigen gleich mit einem instrumentalen Stück zur körperlichen Einfindung und benannten die Stadt in Viva Patrick um. Nahe Feinde und noch bessere Freunde, die Wortspielereien der Texte des Schauspielers und Musikers Robert Gwisdeck nahmen schnell eine fassbare Form an und wurden transfomiert. Wie auch die Ungläubigen oder Frischlinge im Publikum, denn Käptn Peng lieferte an seinem Auftritt nicht nur ein wahres Feuerwerk an intelligenten und kritischen Texten ab, er wusste genial aktuelle Themen in den Hip Hop einzubringen. Sei es die menschliche Evolution, aktuelle Diskussionen über Gender und Herkunft oder soziales Verhalten – alles fand seinen Platz.
Unterstützt von seiner Band Die Tentakel von Delphi wurde auch die Stilrichtung alternativ über den Haufen geworfen. Organisch gespielt und klangtechnisch mit Haushaltsgegenständen ergänzt, waren die Stücke treibende Wandlungen zwischen gitarrenbetonten Melodien, Synthieflächen und einem Perkussionsfeuerwerk. Da merkte man gar nicht, dass der Freitag die Musikfestwochen wieder einmal mit einem grauen und tropfenden Himmel begrüsst hatte. Vielleicht sangen die Hamburger darum auch „Aber hier leben, nein danke“? Denn die wunderbar ausgeleuchtete und mit unzähligen Menschen vollgestropfte Steinberggassse war echt ein Ort zum Verlieben und bis in alle Ewigkeit Verweilen. Was uns wieder zu Tocotronic bringt.
Mit ihrem aktuellen Album „Die Unendlichkeit“ besuchten sie Winterthur mit einem knackigen und rockigen Set, das sich gerne auf die kurzen und schnellen Songs stützte. „Sag alles ab“ gab sich protestierend und holte mit „Let There Be Rock“ die Gitarren auf den Boden. Vielleicht aber war die Position als zweite Band des Abends etwas unglücklich, wollten die eher nachdenklichen und unaufgeregten Rocksongs viele Leute nicht so packen. Was die eher dumpfe Abmischung auch nicht einfacher machte. Trotzdem, Tocotronic auf einer Bühne zu erleben ist einfach immer ein Garant für intelligente und tiefgründige Momente, „Das Geschenk“ halt.
Und dann eben die Basswucht und Worteskapaden zum Abschluss. Mit Jan Delay an der Front, einem thronähnlichen DJ-Pult voller Lichter und dem Gast Torch lieferten Beginner eine Hip-Hop-Eruption ab, die alles erbeben liess. Klar, gegenüber den menschlich gespielten Songs waren diese Konserven und Samples zwar eine leichte Abkehr der Linie, wirklich störend empfanden dies aber die wenigsten. Viel eher wurde laut mitgesungen oder Nena beim Cover „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ beschworen. Mit nur vier Alben und vielen Jahren voller Stille und Pausen haben sich diese drei MCs in die Herzen vieler Menschen gespielt und bewiesen auch an diesem Freitagabend an der Winterthurer Musikfestwochen, dass ihre Hits immer noch für viel Spass und Party sorgen. „Danke“ hiess es darum zum Schluss nicht nur von Seite der Band, sondern auch allen Anwesenden. Und ganz unbemerkt wurde aus diesem grauen Nachmittag eine hell strahlende Nacht voller Glück und Wärme.
Setlist Tocotronic [Quelle: Setlist.fm]
1. Die Unendlichkeit
2. Electric Guitar
3. Let There Be Rock
4. Drüben auf dem Hügel
5. Hi Freaks
6. Die Grenzen des guten Geschmacks 1
7. Aber hier leben, nein danke
8. Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen
9. Hey Du
10. This Boy Is Tocotronic
11. Unwiederbringlich
12. Zucker
13. Sag alles ab
14. Macht es nicht selbst
15. Das Geschenk
16. Letztes Jahr im Sommer
Text: Michael Bohli