Warum Musik? Wieso Konzerte? – Folge sechs
Die Wolken waren nur kurz weg, aktuell sieht es sogar düsterer für die Kulturszene aus als zu Beginn des Jahres. Der Lockdown verhinderte im Frühling das kreative und kommerzielle Schaffen, Häuser und Clubs wurden geschlossen, Tourneen abgesagt. Nach einer kurzen Atempause steht die Schweiz wieder an demselben Punkt – die Regeln und Vorschriften verunmöglichen den Alltagsbetrieb.
Aber warum ist Musik denn wichtig für uns Menschen und die Gesellschaft? Wieso ist es falsch auf Kultur verzichten zu wollen? Und was bedeutet es für die Szene Lieder zu hören, zu spielen und Konzerte zu erleben? Wir haben nachgefragt und bieten in der neuen Beitragsreihe einen positiven Rundumblick über unser klingendes Land. Mögen wir nie verstummen, mögen die Lichter wieder scheinen.
Bisherige Folgen: Eins | Zwei | Drei | Vier | Fünf
Tanya Barany
Musikerin | tanyabarany.ch
Für mich ist Musik eine Notwendigkeit. Als Halb-Britin und Halb-Walliserin bin ich auf unsere Universalsprache angewiesen – denn ohne meine Musik würde ich ja nicht verstanden werden!
Aber jetzt mal im Ernst: Für mich stellt sich eher die Frage: „Warum KEINE Musik?“
Musik ist die Türe zu einer Welt, in der Regeln und Grenzen nicht existieren; Eine Welt der Innovation und Kreativität, Reflexion und Rebellion, Freiheit und GLEICHHEIT; Eine Welt ohne Zeit und Raum. Musik lässt uns in die Vergangenheit reisen. Sie lässt uns in die Zukunft blicken oder kann ganz einfach die Zeit stillstehen lassen. NOTHING and NOBODY can do that! Music is a NECESSITY, NOT a „NICE-SSITY“!
Michael Sele
Musiker | thebeautyofgemina.com
Das Erstaunen war gross, als plötzlich an diesem 15. Oktober auf Facebook reihenweise Tickets unseres eigentlich ausverkauften Konzertes im Bogen F in Zürich zum Verkauf angeboten wurden. Dringend Tickets abzugeben, wer braucht noch Tickets oder ähnlich hiess es einen Tag vor dem Konzert und wir konnten und wollten es einfach nicht glauben. Was war geschehen? Was war passiert? Schnell wurde uns dann bewusst, was: Die deutsche Bundesregierung hatte Zürich von einem Tag auf den anderen zum Risikogebiet erklärt und Gästen aus Deutschland wurde durchgeben, die Stadt zu meiden, da sonst bei der Rückkehr eine zehntägige Quarantäne verordnet werden würde. Es war also doch eingetroffen, was wir schon seit Tagen befürchteten. Es würde wieder dicht gemacht, die Stecker gezogen. Nachdem bereits alle Festivals und auch unsere komplette Deutschland-Tournee ins Wasser fiel, standen für uns vier letzte Konzerte auf dem Programm und zu diesen hatten sich viele unserer Fans aus Deutschland auf den Weg gemacht, hatten teilweise Hotels gebucht, sich mit Freunden zum Wiedersehen verabredet. Daraus sollte nichts werden.
Nach Konzerten in Solothurn und Basel waren wir gerade auf dem Weg nach Zürich, die zweite Welle war längst im Anmarsch und wir wussten, dass trotz aller Bemühungen der Veranstalter, aufwendigen Schutzkonzepten, Maskenpflicht und vielem mehr, der nächste unmittelbare und unaufhaltsame Konzert-Lockdown bevorstehen würden. Umso mehr klammerten wir uns an die Hoffnung, wenigstens Zürich sicher über die Bühne zu bringen. Die Nachricht aus Deutschland kam dennoch wie aus dem Nichts und traf uns alle ein weiteres Mal tief bis ins Mark. Die Anspannung war immens, die Stimmung gedrückt, es regnete den ganzen Tag an diesem Freitag, den 16. Oktober und ich erinnere mich, als wir ein paar Stunden vor dem Konzert im Backstage die Contact-Tracing-Daten von uns Musikern und der Crew sammelten, alle wie gelähmt und konsterniert waren. Wie würde es werden? Würden Leute kommen? Was, wenn dann doch in ein paar Tagen die Handys klingen und die böse Überraschung folgen würde, dass erneut ein Zürcher Club ein weiterer Hotspot geworden wäre? In diese Anspannung mischte sich Angst, Panik, auch Wut, wissend, dass diese seit Beginn der Pandemie im letzten Frühling latente Strategie der kollektiven Angstverbreitung sich längst auch den Weg in unsere Köpfe gebahnt hatte und dass die Zeit erneut gekommen war, die Instrumente wieder einzupacken, den Strom abzuschalten, Ruhe zu geben und das endlich auch zu akzeptieren.
Mit gemischten Gefühlen hat sich unsere Publikum an diesem Freitagabend auf den Weg zum Konzert gemacht, mit gemischten Gefühlen wurden sie von der wertschätzenden Bogen F Crew empfangen, wurden die Kontaktdaten aufgenommen, auf Masken und Abstände hingewiesen, ein schönes Konzert gewünscht. Mit gemischten Gefühlen hat unsere Crew die Bühne und Instrumente nach dem Auftritt der Vorgruppe für uns vorbereitet, mit gemischten Gefühlen wurden die ersten Klänge des Intros abgespielt und mit gemischten Gefühlen haben wir schliesslich die Bühne betreten und jedem Anwesenden im Club, ob auf, hinter oder vor der Bühne war in dem Moment klar, dass es kein normales Konzert geben würde, dass für einmal einfach alles anders war…
Das Konzert sollte für zwei Stunden all diese dunklen Wolken und all die Ängste vergessen machen. Gemeinsam mit dem Publikum durften wir uns auf die Reise machen, alles hinter uns lassen, durften Eins werden und für einen Augenblick diese Kraft spüren, diese Energie und den Seelenbalsam, diesen Wind in unseren Segeln, welche wir Menschen doch alle so brauchen und welchen man nur LIVE erleben kann, sei es im Club, im Theater, in der grossen Konzerthalle oder sonst einem wundersamen Ort, wo Menschen für und mit Menschen „Kunst und Kultur“ entstehen lassen. Wir werden dieses Konzert alle nicht mehr vergessen, dafür bin ich dankbar, doch macht mich diese Erfahrung auch traurig, denn da ist dieses Wissen, dass dies schon viel zu lange und für unbestimmte Zeit für so viele Menschen nicht mehr möglich sein darf oder sein soll! In diesem Sinne lasst uns laut sein.
Corina Berheide
Gründerin, Inhaberin Fem-Net.Art | fem-net.art
Hätten wir vor einem Jahr gewusst, was das Jahr 2020 uns beschert, hätten wir die Zeit vielleicht anders genutzt. Ich mit Sicherheit. Die Spontanität fehlt mir sehr. Heute zu entscheiden, dass ich mich morgen in den Zug nach Wien setze und mir eine Ausstellung ansehe, oder mir Tickets fürs Theater kaufe, welches in 2 Monaten aufgeführt wird. Oder Karten für ein tolles Konzert. Natürlich kann man sich vieles in der Zwischenzeit online ansehen. Ein beachtenswerter Fortschritt der Technik. Das Medium stimmt jedoch nicht für alle Begebenheiten.
Wer einmal ein Kunstwerk im Museum wahrhaftig gesehen hat, weiss, dass jeder noch so gute Nachdruck, jede noch so gute Kopie einfach nichts dagegen ist. Es ist die Aura eines Gemäldes, die das Erlebnis eines Kunstwerks erst vollendet. Das kann man nicht kopieren, nicht in einem Buch drucken. Genauso sehe ich es mit der Musik. Du hörst sie dir zu Hause von deinem Player an, oder du gehst in ein Konzert. Und, dass die zweite Möglichkeit aktuell wegfällt, reduziert für mich eines der wichtigen Aspekte, was Musik ausmacht: Das gemeinschaftliche Erlebnis.
Zu Hause, beim Arbeiten an einer neuen Zeichnung, oder beim Bearbeiten eines Fotos reicht mir das Abspielen der Musik vom Player aus. Es gibt eigentlich keine Arbeit, bei der nicht Musik im Hintergrund gespielt wurde. Die Musik trägt wesentlich zum Ergebnis meiner Arbeiten bei. Sie unterstützt mich im Prozess. Und auch wenn ich es als ausserordentliche Leistung ansehe, wie es Musiker*Innen geschafft haben, aus verschiedenen Orten ein gemeinsames Konzert virtuell auf die Beine zu stellen, ich kann es dennoch kaum erwarten das wieder ohne Bildschirm vor dem Kopf zu erleben. Maximal durch die Linse meiner Fotokamera.
Zusammenstellung: Michael Bohli