Warum Musik? Wieso Konzerte? – Folge fünf
Die Wolken waren nur kurz weg, aktuell sieht es sogar düsterer für die Kulturszene aus als zu Beginn des Jahres. Der Lockdown verhinderte im Frühling das kreative und kommerzielle Schaffen, Häuser und Clubs wurden geschlossen, Tourneen abgesagt. Nach einer kurzen Atempause steht die Schweiz wieder an demselben Punkt – die Regeln und Vorschriften verunmöglichen den Alltagsbetrieb.
Aber warum ist Musik denn wichtig für uns Menschen und die Gesellschaft? Wieso ist es falsch auf Kultur verzichten zu wollen? Und was bedeutet es für die Szene Lieder zu hören, zu spielen und Konzerte zu erleben? Wir haben nachgefragt und bieten in der neuen Beitragsreihe einen positiven Rundumblick über unser klingendes Land. Mögen wir nie verstummen, mögen die Lichter wieder scheinen.
Bisherige Folgen: Eins | Zwei | Drei | Vier
Le René Kunz
Booking Agent, Tour Manager, Artist Manager, Light Operator bei Le R. | lerene.ch
Foto: Jan Holger Engberg
Gerade in diesem Jahr habe ich realisiert was Musik und Konzerte für mein Leben bedeuten. Ja, ausgerechnet in diesem Jahr. Wahrscheinlich hat sich durch die Absenz gezeigt, wie wichtig das ist.
Ohne Musik geht bei mir gar nichts. Musik löst immer etwas aus. Nicht nur schönes. Musik kann schmerzen. Musik kann auch nerven. Musik, die persönlich berührt, ist die Musik, die bleibt. Sei dies die Melancholie. Oder eine Euphorie.
Konzerte lösen das ebenfalls aus. Und nicht nur aus beruflicher Sicht. Aber natürlich auch. Es gehören die Nervosität davor und die Erleichterung danach dazu. Oder die Gelassenheit davor und die scharfe Kritik danach.
Welche Emotionen es auch immer sein mögen. Sie fehlen in diesem Jahr sehr stark. Und sind deswegen umso bedeutungsvoller.
Seraina Telli
Musikerin | serainatelli.com
Foto: Liane Paasila
Musik berührt die Leute auf einer Ebene wie es kaum etwas anders kann. Vor allem an live Konzerten ist sehr stark zu spüren, wie die Musik Menschen zusammenbringt. Das macht sie zu einem unverzichtbaren Gut für uns alle.
Jake Gutzwiller
Musiker | glastonmusic.com
Gründer, Label Manager Bergmal | bergmal.ch
Foto: Thomas Egli
Musik gilt als Sprache der Gefühle. Sie ist die Synapse zu all unseren Emotionen. Eine vielschichtige Faszination mit unzähligen Überraschungselementen, welche uns mit purer Euphorie versorgt, uns auffängt, wenn es mal nötig ist und täglich begleitet. Musik ist Kunst. Und Earth without art is just Eh!
Spätestens seit «Hybrid Theory» hat mich die Musik nicht mehr losgelassen. Und ich bin bis heute sehr froh darüber. Ich war angetan, wie viele Facetten gleichzeitig in ein Lied verpackt werden konnte. Dank MTV konnte man sehen, wie die Songs bildlich interpretiert wurden.
Da wurde mir bewusst, dass ich das auch machen will. Ich habe die Gitarre in die Hand genommen und angefangen selbst Lieder zu schreiben. Das war eine der besten Entscheidung meines Lebens. Über die Gitarre begann ich in einer Band zu spielen, habe unzählige tolle Momente hinter und vor der Bühne erlebt und vor allem unglaublich viele schöne Menschen kennen gelernt. Glaston ist seit 2014 fester Bestandteil von mir, bei dem ich mich musikalisch ausleben kann.
Seit 2008 bin ich auch als Konzertveranstalter tätig. Von Rock Resort, Musik ohne Strom, Hirsch Production bis zum bergmal Festival habe ich mittlerweile über 200 Shows im kleineren oder grösseren Rahmen durchgeführt. Mir war es immer wichtig Bands im In- und Ausland zu unterstützen, ihnen eine Plattform zu bieten. Konzerte zu organisieren war für mich immer Ehrensache – eigentlich ein sehr anstrengendes dafür ein wunderschönes Hobby.
Das Endergebnis bei einer Live-Show bestätigt mir immer, warum es sich lohnt. Einzigartige, wundervolle und dankbare Momente. Unendlich Synapsen konzentriert in einem Raum voller Menschen. Musik verbindet mit einer Sprache, bei der es keine Wörter braucht. Ein wichtiger sozialer Aspekt, den ich auch als Konzertbesucher sehr schätze.
Musik, ohne sie Live geniessen zu können, ist wie zu kochen, ohne es zu essen. Grundsätzlich geht es, auf die Dauer ist es aber nicht sinnvoll.
Anina Riniker
Kommunikation / Booking Royal Baden | royalbaden.ch
Foto: Céline Werdelis
Konzerte können in mir eine Ekstase auslösen, die man üblicherweise physischen Suchtmitteln zuschreibt. Konzerte tragen mich in eine andere Welt. Konzerte rufen Erinnerungen an viele schöne und manchmal auch traurige Momente wach. Konzerte sind aber auch Bestandteil meiner Arbeit – kilometerlange Mailkonversationen, Organisation und Produktionen. Und dies für das schönste Ergebnis überhaupt: Konzerte verbinden fremde wie auch bekannte Menschen. Konzerte malen den Gästen einen Ausdruck aufs Gesicht, den man im kalten Stadtnebel sonst so nur selten zu sehen bekommt – verschmitzte, gebannte, verträumte, gelöste Gesichter blitzen im Bühnenlicht auf. Die Konzertbesucher*innen wie auch die Künstler*innen geben sich im Moment des Konzertes so verletzlich, wie sonst selten in der Öffentlichkeit.
Und plötzlich sind genau diese lösenden, emotionalen und wichtigen Konzerte aus meinem Tagesablauf verschwunden – weg war die Arbeit und genauso meine Alltagsflucht, die soziale Komponente, das spontane Treffen von Freunden, das Royal als mein zweites Zuhause. Ich vermisse diese zauberhafte Stimmung, die ein Konzert für zwei Stunden in einen beliebigen Raum tragen kann. Ohne unsere geliebten Konzerte bleiben die Gesichter starr im Stadtnebel. Ohne unsere geliebten Konzerte fällt die gesündeste Droge weg.
Du bist ebenfalls in der Kreativbranche tätig und willst dich mit einem Statement beteiligen? Dann sende uns jetzt eine E-Mail.
Zusammenstellung: Michael Bohli