Solothurner Filmtage 2021
Die 56. Ausgabe der Solothurner Filmtage, geleitet von Anita Hugi, lassen sich nicht unterkriegen, trotz schwierigen Umständen und dem Umstieg auf eine rein digitale Ausgabe. Auch 2021 erwarten euch ein grosses Angebot an Spiel- und Dokumentarfilmen, Kurzfilmblöcke, Premieren und begleitende Veranstaltungen. Da lohnt es sich auf jeden Fall, via Stream dem kulturellen Geschehen beizuwohnen – wir werden euch in den kommenden Tagen mit Kurzkritiken zu ausgewählten Produktionen versorgen.
Die Sektion „Panorama Schweiz“ ist das Herzstück der Filmtage und zeigt einen Überblick des hiesigen Kreativschaffens, ein Ausflug in diverse Genres, Gebiete und Geschichten. Begleitet werden die Vorführungen durch Gespräche, am Ende des Festivals werden drei Preise vergeben. Da soll noch einmal jemand behaupten, hierzulande passiere nichts Interessantes im Bereich Film.
Atlas, der Eröffnungsfilm der Solothurner Filmtage, wird heute Mittwoch, 20. Januar 2021, um 20 Uhr, parallel zu seiner Weltpremiere auf der Filmplattform, auf den drei Landessendern SRF, RSI und RTS frei ausgestrahlt. Mehr Infos zum Film findet ihr hier, unsere Kritik folgt im zweiten Bericht zu den Filmtagen.
Praktische Informationen:
Die Filmplattform ist online und der Festivaldesk eröffnet: Für sämtliche Online-Filmvorführungen können auf unserer Website ab sofort Tickets gekauft und die Filme reserviert werde. Die Filme sind ab dem Eröffnungsabend am 20. Januar 2021 gemäss ihrem jeweiligen Starttag verfügbar.
Alle Filme starten während des Online-Festivals täglich um 12 Uhr und am Eröffnungsabend um 22 Uhr. Die Filme bleiben nach dem Filmstart während 72 Stunden online verfügbar. Einmal gestartet, bleiben Ihnen 36 Stunden Zeit, um den Film / das Filmprogramm fertig zu schauen.
Das Programm ist aus rechtlichen Gründen nur in der Schweiz verfügbar.
Lieblingsmenschen
Land / Jahr: Schweiz, Deutschland / 2021
Regie: Vlady Oszkiel
Website: Lieblingsmenschen bei IG
„Für das Herz ist das Leben einfach. Es schlägt, solange es kann.“ Oder ist es nicht so simpel, wie Karl Ove Knausgård im ersten Band seiner Autobiografie „Min Kamp“ schrieb? Schliesslich bürden wir unserem Organ nicht nur den Bluttransport auf, sondern die Liebe, deren gewichtigen Entscheidungen und alle sonstige Vernunft. Die fünf Berliner*innen in Lieblingsmenschen etwa wollen bei einem Ausflug aufs Land den Funken neu entfachen und in diversen Konstellationen endlich die Nähe finden.
Wenn sich „Generation Instagram“ an einer Auszeit versucht, dann offenbart dies nicht nur das grosse Unvermögen, sich in die reale Welt einzufinden, sondern die Abkehr von Ehrlichkeit und Vertrauen. Im Film von Vlady Oszkiel (teilfinanziert via Crowdfunding) wird dies nach dem Theaterstück von Laura de Weck aufgezeigt, ohne die Wahrnehmung und Stilform der Charaktere abzulegen. Traumähnliche Filterszenen schmuggeln sich in die Handlung, die Reflektion bleibt fern. Das bedeutet leider auch, dass sich der Film trotz Kammerprinzip selten freikämpfen kann – die Nähe zu „The Party“ (Sally Potter) und „Carnage“ (Roman Polański) ist vorhanden, lässt aber deren Gewitztheit vermissen.
„Sammeln Sie Herzen?“, wird eine Figur im Film gefragt. Leider ja, aber an den falschen Orten und nur mit Selbstbezug. Ein Lerneffekt bei den Personen bleibt aus, der Film endet korrekterweise praktisch ohne Entwicklung.
Lieblingsmenschen läuft vom 20. bis 23. Januar.
Ale
Land / Jahr: Schweiz / 2020
Regie: O’Neil Bürgi
Website: oefilmproductions.ch
Alessandra kämpft nicht wie Saraya-Jade Bevis mit ihrer Familie, zumindest nicht oft – trotzdem hält das Leben genügend Hürden für die junge Frau bereit. Mit der Sportart Wrestling will sie sich körperlich und geistig stärken, um zukünftigen Schwierigkeiten mit mehr Sicherheit entgegentreten zu können. Auf ihrem Weg hat O’Neil Bürgi sie für den Dokumentarfilm Ale im Trainingsring in Rorbas und im privaten Umfeld begleitet.
Der Film ist keinesfalls ein Sportdrama geworden, sondern im Grundsatz eine Betrachtung der Mutter-Tochter-Beziehung. Alessandra muss nicht nur ihre Teilheimat Kamerun, das Schweizer Mittelland und die schulische Ausbildung balancieren, sondern ihrer Mutter gerecht werden. Das verlangt viel Selbstfindung und Reflektion, was mit rohen Aufnahmen und den geführten Interviews gut eingefangen wurde. Ohne reisserische Montage, ohne offensichtlich konstruierte Elemente: Ale ist ein Portrait einer Frau, die das eigene Leben in Angriff nimmt und nach Ruhe im Ich sucht.
Die Wrestling Academy Rorbas – WAR – existiert seit 2006 unter der Leitung von Thomas Heri und ist ein wichtiger Anlaufpunkt für ein solches Trainingsprogramm in der Schweiz.
Ale läuft vom 20. bis 23. Januar.
The Brain (Cinq Nouvelles du Cerveau)
Land / Jahr: Schweiz, Frankreich / 2020
Regie: Jean-Stéphane Bron
Website: praesens.com
„Where Is My Mind“ stimmen The Pixies während des Abspanns an und suchen Sinn und Verstand. Die Forscher*innen, welche der Dokumentarfilm The Brain vorstellt, wissen wo das Gehirn steckt – bloss halt nicht, wie es genau funktioniert. Seit Jahrzehnten wird untersucht, geprobt und nachgedacht, doch einen wirklichen Durchbruch gab es in dem spezifischen Gebiet bisher nicht. Trotzdem scheint die technologische Entwicklung alle zu überholen, die künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch.
Angetrieben durch die Privatindustrie wird versucht, ein autark und autonom denkendes Netzwerk zu entwickeln, das den Menschen ersetzten könnte. Jean-Stéphane Bron hat keine Anti-KI-Panikmache verfilmt, sondern zeigt Frauen und Mannen, die wissenschaftlich ruhig neue Möglichkeiten suchen. Der Film funktioniert als nüchternes Gegenstück zu „iHuman“ (Tonje Hessen Schei) und zeigt Menschen, die sich dafür einsetzen, dass unsere Welt nicht in eine ungewisse Zukunft ohne Grundlagen davongaloppiert. Mit Interviews, Diskussionen und keinen falschen Schauwerten ist eine stimmige Reportage entstanden deren Soundtrack von Christian Garcia-Gaucher stammt.
The Brain läuft vom 21. bis 24. Januar.
Text: Michael Bohli