Gessnerallee – Zürich
22. November 2018
Text: Michael Bohli
Wann wurdest du zum letzten Mal an der Hand genommen und in einen Konzertsaal geführt? Wohl nur, als das Erlebnisrestaurant „Blinde Kuh“ einen Musikabend anbot, denn sonst finden Konzerte meist in hell erleuchteten Umgebungen statt – zumindest bis die grelle Lichtshow beginnt. Diese Woche gibt es davon die komplette Abkehr bei der Südbühne in der Gessnerallee zu erleben. Der Zürcher Musiker Rio Wolta präsentiert zusammen mit dem Künstler Piet Baumgartner sein neustes Album „No More Intimate Music“ – auf völlig neue Weise.
Nur in kleinen Gruppen wurde man in die Räumlichkeiten gelassen, erst nachdem die Band bereits zu spielen begonnen hatte. Ohne Schuhe und am Arm geführt – denn als die Türe aufging, umgarnte einen nur eines: Dunkelheit. Die drei Auftritte von Rio Wolta finden in abgedunkelten Räumen statt, die Besucher geniessen die Darbietung sitzend in Strandstühlen. Nur ganz selten nimmt das Auge einen Schimmer wahr, es sind die Linsen der Nachtsichtgeräte der Helfer, ansonsten wird man mit den Klängen alleine gelassen.
Es war verwunderlich zu erleben, wie der Geist zuerst von dieser Konzertform überrumpelt wurde. Lieder wie „Encore“ waren nicht vor einem zu hören, sondern um den Körper herum, durchdringend und wandernd. Einzelne Gesänge wechselten die Position, eingespielte Samples bewegten sich quer durch den Raum. Bis dann plötzlich eine Discokugel angestrahlt wurde und einzelne Bereiche des Raumes in schummriges Licht tauchte. Was nicht nur eine Erlösung bot, sondern auch eine Aufklärung. Denn erst jetzt war klar, wie der Saal aufgeteilt war, dass man mit vielen anderen Besuchern dasass und nicht in einzelne Kammern bewegt wurde.
Glühbirnen flammten kurz auf, ein rotes Licht legte sich auf alle Menschen im Raum nieder, eine Sängerin wurde von ihrem Mikrofon aus angestrahlt – doch meist waren weder Rio Wolta noch seine Band zu erblicken. Als Besucher versank man in den abwechslungsreichen Kompositionen, zwischen zärtlichem Singer-Songwriter und wuchtigem Indie-Rock, der sich in Aufbau und Dynamik viel Raum liess. Und genau da zeigte sich die erstaunliche Wirkung dieser Darbietung, verlor man nicht nur die Bezüge zum Raum, sondern auch zu sich selber und der Zeit.
Es wurde nie geklatscht, es wurde nicht gesprochen und man versank in den Songs. Wie lange man wohl schon hier sass? Und was bedeutet dieses „hier“ in einer dunklen Umgebung? Kann man den Bass immer so laut vernehmen, oder wird hier die Sinneswahrnehmung verstärkt? Musik kann etwas sehr Intimes sein, Persönliches – und meist wird der ehrliche Zugang zu den introvertierten Gefühlen erst dann möglich, wenn man sich von der Umgebung abschottet. Somit war dieses Konzert weniger eine Begegnung mit einer Gruppe, sondern mit sich selber und seinen Gedanken.