1. Februar 2020
Diverse Lokale – Baden
Bands: Goat / Shari Vari / Buriers / Common Holly / Los Sara Fontan / Evelyn und Kristina Brunner / Rea
Webseite: ooam.ch
Jubeljahr, zehnte Ausgabe, ein Vorwärtsschreiten, ohne Gedanken an die Vergangenheit zu verlieren: Das One Of A Million Festival in Baden hat mit der neusten Ausgabe einen Meilenstein erreicht. Nur Weniges lässt vor Ort die Nostalgie anwachsen, 2020 dreht sich alles um das Hier und Jetzt, das Leben. Denn diese Konzertreihe ist ein gutes Abbild unseres Daseins, unberechenbar, abwechslungsreich und voller Entscheidungen.
Mit einem Programm, das für Leute mit einem anderen Wohnsitz als Baden viele Rahmen sprengt, werden knallharte Verzichte verlangt. An welchen Tagen wage ich die Anreise? Welche Konzerte bieten die aufregendsten Neuentdeckungen? Ein Richtig oder Falsch gibt es zum Glück nicht, sondern nur unterschiedlichste Perspektiven. Und von unserer Seite her keinesfalls ein Versprechen auf Vollständigkeit.
Für uns begann das diesjährige OOAM am Samstag mit Los Sara Fontán in der Sebastianskapelle. Keine Alben zu veröffentlichen, ist für Geigerin Sara Fontán und Schlagzeuger Edi Pou ein Statement: Mit Loops und einer Unmenge an Effektgeräten schaffen sie Live-Improvisationen, die die Zuhörer regelrecht wegblasen. Das Resultat ist eine brodelnde Mischung aus Rock, Noise und Electronica jenseits aller Genre-Grenzen – zuerst sanft und unschuldig, dann plötzlich laut und heftig. Das hätte an diesem Ort wohl niemand erwartet – was für ein Start!
Im Dachstock des Merkker-Areals eingepfercht zu werden, das erlebt man sonst nie. Für die kanadische Indie-Band Common Holly zwängten sich unglaubliche viele Leute in den Plattenladen Zero Zero, der für einmal seine Neuheiten in den hinteren Bereich verbannte. Jetzt gehörte die Fläche neben dem Eingang Brigitte Naggar und ihren drei Tourmusikern, den Liedern ihres zweiten Albums «When I say to you Black Lightning». Das klang, als wären Broken Social Scene nach einem Treppensturz mit gebrochenen Extremitäten trotzdem auf die Bühne gestiegen. Emotionaler Indie-Pop, voller Fallen, Leerstellen und lärmigen Details.
Das war einerseits typische OOAM-Musik, andererseits voller unerwarteter Passagen und Ideen. Common Holly zeigten sich sympathisch, zugänglich und grundehrlich, eine aufrichtige Begegnung zwischen schwarzen Rillen und silbernen Scheiben also. Da fühlte man sich nach dem Auftritt vom einsetzenden Regenfall schon fast umarmt.
Für den ersten Hauptact des Abends ging es wie immer weiter in die Stanzerei. Buriers aus London bezeichnen ihre Musik selbst als «Anti-Rap Alternative Folk». Frontmann James P Honey schreibt bitterböse Texte, die er in Spoken-Word-Manier präsentiert; untermalt werden sie von Gitarre, Cello, Geige und Schlagzeug. Hier kommt viel Wut durch, auf die Gesellschaft, auf die Politik – an diesem Tag selbstverständlich nicht ohne Seitenhiebe auf den gerade eben vollzogenen Brexit. Honey nimmt wahrlich kein Blatt vor den Mund. Doch aller Wut entgegen war zwischen den Stücken auch immer Platz für ein paar Witze; eine tolle Live-Entdeckung am OOAM!
In der Druckerei dann zuerst das Augenfällige: die Festival-Rückschau mit alten Plakaten, die wunderbare Dekoration als Projektionsfläche der hübschen Visuals. Und darunter Sophia Kennedy und Helena Ratka, das Duo aus Hamburg mit dem Pseudonym Shari Vari. Synthie Pop mit viel perkussiver Energie, Spielfreude und tollem Gesang. Doch der Funken entzündete in mir leider kein Feuer, die Bässe und Trommeln erreichten meinen Körper in zu schwachen Wellen. Durch eine verregnete Grossstadt zu gehen, das fühlte sich zwar romantisch an, der trockene Unterschlupf war aber reizvoller.
Und was haben wir denn verpasst, was hätte man ausführlicher lieben sollen? Klar, REA aus Bern mit ihren entrückten Liedern zwischen Björk, Laurie Anderson und experimenteller Electronica. Im Untergeschoss der Werkstatt gespielt, verwunschen und aufwühlend. Oder Evelyn und Kristina Brunner, die Schwestern, welche sich mit Schwyzerörgeli und Kontrabass die alten Traditionen zu Eigen gemacht haben. Ohne Brimborium, aber viel Talent und Fertigkeit.
Oder dann auch Goat aus Japan, die im Royal handgespielt und mit übermenschlicher Präzision tribalistisch zwischen D’n’B, Jazz und Perkussionswunder landeten. Trommeln, Bass, Taktgefühl – fertig ist das Delirium. Doch wieso bedauern, wenn man bereits heute wieder neue Abenteuer erleben kann? Das OOAM dauert an, wir jubeln mit.